Im Nachtcafé sprach SBB-Chef Andreas Meyer über seinen Posten, die künftigen Baustellen der SBB und wie er sich mit seiner Familie von den beruflichen Strapazen erholt.
«Als ich von Olten her kam und es hiess ‹Nächster Halt Gelterkinden›, war ich froh, dass der Zug auch wirklich hielt.» Andreas Meyer, Chef der SBB, zeigte, dass er die betrieblichen Probleme der Vergangenheit mit Humor nehmen kann: Im Nachtcafé sprach der gebürtige Birsfelder mit «Volksstimme»-Verlagsmitarbeiter Robert Bösiger über Pannen der SBB, steigende Billettpreise und wie er während seines Studiums dreckige Zugstoiletten putzte.
Zwar kam Meyer mit dem Zug nach Sissach, als permanenter öV-Benutzer wollte er sich dann aber doch nicht outen: «Ich nehme auch einmal ein Taxi, um nach Hause zu kommen», so Meyer. Zuhause, das ist Bern, wo Meyer mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt. Es sei für ihn sehr wichtig, einen Ausgleich zur Arbeit zu haben. Mit seinen Töchtern gehe er gern einkaufen, mit dem Sohn Mountainbike fahren oder in der Aare schwimmen. «Das macht auch einmal jährlich das ganze SBB-Kader», erzählte Meyer.
Aber nicht nur über Privates sprachen Meyer und Bösiger, auch die Atomkatastrophe in Fukushima war ein Thema. Vier Prozent des jährlichen Stromverbrauchs in der Schweiz gehen auf das Konto der SBB, wie Bösiger vorrechnete. «Es wäre mir lieber, wenn die SBB keinen Atomstrom beziehen würden», so Meyer. Allerdings stelle sich die Frage, woher der Strom denn sonst kommen solle. Heute beziehen die SBB rund 75 Prozent des Stroms aus Wasserkraft, im Rest ist auch Atomstrom zu finden.
40 Milliarden für Ausbau
Obwohl sich die Pendlerzahlen bis 2030 noch verdoppeln sollen, blickt Meyer zuversichtlich in die Zukunft: «Das System hat noch Reserven.» Dass der dazugehörige Ausbau aber mit Kosten verbunden ist, verschwieg der SBB-Chef nicht: Sollten alle Wünsche auf dem Streckennetz erfüllt werden, müssten rund 40 Milliarden Franken aufgewendet werden.
«Viele verstehen, dass Mobilität nicht zum Nulltarif zu haben ist», so Meyer. Die hoch belastete Infrastruktur – das Schweizer Eisenbahnnetz ist das am Höchsten ausgelastete der Welt – sei zwar in Ordnung, müsse aber gepflegt werden. Und dazu fehle im Moment das Geld. «So weit man einen Ausbau will, müssen es die Benutzer auch bezahlen», sagte Meyer klar. Aber nicht nur die Pendler, auch der Bund und die Kantone müssten zur Kasse gebeten werden.
Meyer machte keinen Hehl daraus, dass er das Preissystem der SBB überarbeiten möchte: «Ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn wir die Preise nicht differenzieren würden.» Schritt für Schritt will der SBB-Chef den Preisplan anpassen. Allerdings sei es schwierig, diese Differenzierung mit den heutigen Mitteln umzusetzen, so Meyer: «Es gibt noch zwei, drei technische Knacknüsse.»
Sympathisch und selbstkritisch
Meyer ist seit vier Jahren in seinem Amt – von Müdigkeit ist nichts zu spüren. «Ich habe eine faszinierende Aufgabe», schwärmte er. Trotzdem sei es schwierig, im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen und einen solchen Betrieb zu leiten: «Es braucht enorm viel Kraft, damit ein so grosses Schiff in Bewegung gesetzt werden kann.»
Auch für die Besucher des Nachtcafés, die zahlreich erschienen waren, legte sich Meyer ins Zeug: er gab sympathische Antworten, übte Selbstkritik und wollte keine halbherzigen Antworten geben: Als er bei einer Frage nicht die genaue Antwort wusste, wollte er kurzerhand die Adresse des Besuchers haben, um ihm die richtige Antwort zukommen zu lassen. Ganz korrekt eben, wie es die Bahn – jedenfalls meistens – ist.
Volksstimme Nr. 56 / 2011