George Gruntz
Schweizer Jazz-Ikone
Der Weg vom Zeichner zu einer Jazz-Ikone
Zwischen Jazz-Oper und Concert Jazz Band gab sich der Basler Musiker George Gruntz im «Volksstimme»-Nachtcafé die Ehre. Obwohl der Mann mit Jahrgang 1932 zu den Ältesten der Szene gehört, denkt er noch lange nicht ans Aufhören. Im Gegenteil: Gruntz komponiert, arrangiert und interpretiert wie vergiftet.
ans. Wers glaubt. Der Mann ist höchstens auf dem Papier 74 Jahre alt: Jazzpianist George Gruntz sitzt im «Volksstimme»-Nachtcafé wie ein munterer Mitfünfziger. Erzählt, rudert mit den Armen. Sprüht vor Energie und Motivation. Er schwärmt vom aktuellen Jazz-Opernprojekt, vom Monk-Projekt mit der NDR-Bigband, dem Groove der Basler Trommel. Seis drum und lassen wir es gelten: für den Künstler gibt es keine Altersguillotine.
Gruntz ist gut: Eine Koryphäe des Schweizer Jazz und eine Ikone des Jazz überhaupt, und er lässt keinen Zweifel daran, dass er es auch weiss; keiner dürfte sich dessen so bewusst sein, wie Gruntz selber. Wenige sind so wandelbar wie er: Reiste er als künstlerischer Leiter des Berliner Jazzfestivals noch durch die Kontinente auf der Suche nach neuen Einflüssen, spielte er mit afrikanischen Beduinen neue Töne ein und tourt seit bald 30 Jahren mit seiner Concert Jazz Band. Weltmusik «avant le lettre» und darüber hinaus. Obwohl er den Begriff «World Music» nicht riechen kann: Was ihn vorwärts treibt ist die Neugier und die Leidenschaft zu experimentieren.
Das hält ihn jung, sagt der Bandleader. Einmal Jazz, immer Jazz: «Das machst du mit Leib und Seele und nicht nur es bitzeli.» Alles fliesst. Bei Gruntz herrscht der kreative Imperativ, er komponiert, arrangiert, improvisiert. Konventionen sind höchstens die Basis, auf der Gruntz seine Musik aufbaut: «Früher spielte man den Amerikanern nach, jetzt spielen wir mit ihnen. Wir arbeiten heute in Europa auf einer Ebene, da kommen die Amerikaner nicht mal mehr mit.»
George Gruntz, der Basler
Begonnen hat es für Gruntz nicht in etwelchen Slums oder Ghettos, wie für so viele seiner Kollegen, sondern im wohlbehüteten Basel. An der Weihermattstrasse, mit «weissen Vorhängen», wie er sagt, ganz ordentlich und mit viel Hausmusik. Wie er denn aus so gut situierten Kreisen zum Jazz gekommen sei, wollte «Volksstimme»-Redaktor Daniel Aenis-hänslin wissen. «Bis ich ungefähr 15 Jahre alt war, wusste ich noch nichts von Jazz», antwortete Gruntz. Damals, in der katholischen Pfadi, habe er erstmals Jazz gehört. Gespielt von den fünf Jahre Älteren in der Beiz. Und so fing es an mit ihm: Die Jungs liessen ihn mitmachen. Gruntz, damals gerade in der Ausbildung zum Gruppenführer, wurde vom Pfarrer beiseite genommen und gefragt, ob er sich bewusst sei, dass er bald Verantwortung für Jüngere tragen würde. Das liesse sich mit dem unanständigen Jazz nicht vereinbaren, fand der besorgte Geistliche. Gruntz lacht. «Da dachte ich, fuck the boyscouts, ich bleibe beim Jazz.» Zudem sei er ja musikalisch dünkelfrei erzogen worden: «Bei uns zuhause war alles Musik. Wir spielten was uns in die Finger kam.»
Nach einer Lehre als technischer Zeichner und einer Anstellung bei der damaligen Brown Boveri («Lerne was Rechtes, dann kannst du machen was du willst», sagten die Eltern) riss es Gruntz nach der Rekrutenschule definitiv hin zum Jazz.
Was folgte, ist Geschichte. Nach ersten Engagements in Zürich und San Remo kam Gruntz 1958 ans Newport Jazz Festival, wo er mit Louis Armstrong spielte, einem seiner grossen Einflüsse, wie er sagt. Der Basler Kosmopolit schreibt seither wie vergiftet: Theatermusik, Filmmusik, Jazz-Opern und führt nach wie vor seine Concert Jazz Band, schrieb Fasnachtsmärsche. Zu Gruntz’ Bekanntenkreis zählten unter anderen Miles Davis, Chet Baker, Dexter Gordon, Dino Saluzzi und natürlich seine Schweizer Weggefährten Daniel Humair und Franco Ambrosetti.
George Gruntz, der Mentor
Zeitlebens setzt sich Gruntz für den Nachwuchs ein, findet Gefallen an jungen Talenten, weiss um die Härte des Jazz-Geschäfts: «Der Markt ist voll von guten Jazzmusikern, nur sie unterzubringen ist schwierig.» Was er als Experte an den Musikhochschulen bereits gehört habe, das sei herausragend. Nur: Viele Formationen spielen lange Zeit in der gleichen Besetzung. Für Jungmusiker sei es deshalb schwierig, nachzurücken. Das braucht Selbstvertrauen. Der Jazz, das sei eine Welt die gerammelt voll ist mit guten Leuten – Gott hilft dem, der sich selber hilft. «Da nützt auch ein Diplom in der Tasche nicht mehr viel», sagt Gruntz, der Arbeitsmarkt sei sehr, sehr begrenzt.
Das mussten schon die Altherren des Jazz erfahren: «Wenn du mit 19 Jahren nach New York kommst und meinst, du kommst gross raus, irrst du dich. Da bist nur ein kleines Bürschlein. Das merkte schon Miles.» Davis, als Ausnahmefall in der amerikanischen Jazzszene des vergangenen Jahrhunderts, stammte aus den geordneten Verhältnissen einer Zahnarztfamilie. Im Rennen um Anerkennung verfiel der Trompeter schnell den Drogen, in der Szene allgegenwärtig: Heroin, alles was high macht.
«Ich habe all die Leute in Paris erlebt», sagt Gruntz auf die Frage, wie er mit Drogen umgegangen war. «Da hiess es: Nimm doch mal, probier, du spielst so viel besser mit diesen Mitteln, greif zu. Die haben alle gespritzt. Miles war ja nur noch eine wandelnde Leiche.» Doch weder Gruntz noch sein damaliger Mitstreiter Humair erlagen der Versuchung. «Wir wollten die Musik geniessen, die wir machten. Die Musik, die war so digg, dieses Gefühl hätte ich mir nie und nimmer durch Drogen versauen lassen.»
Volksstimme Nr. 32 / 2006