Nachtcafé vom 31.10.2013   Liste aller Gäste       

Maya Graf
Nationalratspräsidentin 

Maya Graf Maya Graf, die aktuell höchste Schweizerin, hat am Donnerstag im Nachtcafé der «Volksstimme» in der Oberen Fabrik in Sissach über ihr spannendes Amtsjahr erzählt. Die volksnahe Sissacherin wurde fast wie ein Popstar gefeiert.

jg. Die erste Frage war bereits beantwortet, noch ehe der Star des Abends auf der Bühne der Oberen Fabrik in Sissach Platz nahm und das Frage-Antwort-Spiel beginnen konnte. Interessiert es die Leute überhaupt, was eine Nationalratspräsidentin ­ihnen zu erzählen hat? Wollen Sie tatsächlich eine Stunde lang der Frau aus Sissach zuhören, die den Grossteil der Zuhörer auch persönlich kennt, oft selber in den knapp über 100 Nachtcafé-Ausgaben zum Publikum zählte und mehr als ein Mal dazu beigetragen hat, einen prominenten Nachtcafé-Gast nach Sissach zu locken? Haben die Leute allmählich nicht genug gehört und gelesen vom Maya-Graf-Jahr, das in 20 Tagen endet? Zuschauermässig war alles denkbar, Top oder Flop oder etwas dazwischen.

Die Optimisten bekamen recht: Die Reihen und Plätze waren bis auf den letzten Platz besetzt. Die beiden Hauptdarsteller des Abends, Nachtcafé-Gastgeber Robert Bösiger und der 104. Gast des «Volksstimme»-Talks, mussten sich den Weg bahnen, ehe sie auf der Bühne Platz nehmen konnten.
Strohballen und Geissen-Glocken
Diese war für einmal nicht mit modernen Stühlen ausgestattet, sondern mit ein paar Strohballen, passend zur anderen Seite von Maya Graf, zur Bio-Bäuerin hoch oben über Sissach. Nicht nur mit dieser eigenwilligen Bestuhlung hatte sie nicht gerechnet. Am Eingang zur Oberen Fabrik ­standen ihr ihre Geissen Spalier; und am Ende des Talks erhielt sie nicht den traditionellen Fresskorb mit ­Produkten aus der Region – man hätte Eulen nach Athen getragen – sondern vier neue Glöcklein für ihre Geissen.
Dieses Geschenk hat sie sich in den 60 Gesprächsminuten davor auch verdient, weil sie darin nicht nur politischen Tiefgang bewies, ­sondern auch ihre Volksnähe. Als ­Beleg belässt sie es nicht bei Duzis, Küsschen und Händeschütteln, sie kennt die Namen und Anliegen der zahlreichen Leute, die sie umgeben und, ja, umschwärmen.
So verspricht sie dem Sissacher Gemeinderat Paul Bieri in der abschliessenden Gesprächsrunde, wegen des Schiessplatzes bei SVP-Bundesrat Ueli Maurer vorzusprechen. Mit ihm verstehe sie sich, verrät sie, ­übrigens sehr gut. Maya Graf ist, wie sich nach dem Talk einmal mehr ­gezeigt hat, eine Art Popstar der Baselbieter und der nationalen Politik.
«Nein», sagt sie während des Talks, profiliert für die Politik der Grünen einzustehen und gleichzeitig in allen Lagern hohe Sympathien zu geniessen, das sei für sie kein Wi­derspruch. Das habe viel mit Respekt und dem richtigen Einordnen des ­Politisierens zu tun.
Positives und ein TiefpunktDas wurde der Sissacherin schmerzhaft in Erinnerung gerufen, als sie in der Pädophilen-Debatte den Stichentscheid gegen eine Ja-Empfehlung im Abstimmungsbüchlein fällte und sie mitsamt ihrer Familie danach übel beschimpft und belästigt wurde. «So viel Hass», sagt sie nachdenklich, «das ist mir unerklärlich.»
Die positiven Erinnerungen an das bald endende Jahr als höchste Schweizerin überwiegen aber deutlich: etwa die Präsidialreise mit ­ihrer Familie, die sie bewusst nach Tan­sania unternahm. «Vor lauter Osten und Westen vergessen wir gerne unsere näheren Nachbarn im Süden», erklärt sie und zollt der Schweizer Entwicklungshilfe ein hohes Lob. «Sie sorgt dafür, dass Geld nicht in die Staatskassen, sondern zu den Leuten fliesst.»
Dank erhält auch ihre Familie, die sie im Amtsjahr stark unterstützt hat – einmal habe Ehemann Niggi ­sogar einen Schlips umgebunden, den er bei Sohn Severin ausgeliehen hatte. Die Familie sei ihr wichtig. Das ist für sie einer von mehreren Gründen, weshalb sie sich nicht als erste Bundesrätin der Grünen sieht.
Maya Graf verspricht auch, dass sie nach ihrem Amtsjahr die Flie­gerei wieder stark reduzieren werde, die sich ja nicht mit ihrer politischen Auffassung vereinbaren lässt: «Man muss auch vorleben, was man predigt.»

Bilder zum Nachtcafé mit Maya Graf finden Sie in unserer Galerie auf www.volksstimme.ch


Volksstimme Nr. 125 / 2013