Helmut Hubacher
Schweizer Polit-Urgestein
Streitbar, aufrichtig und nie um eine Antwort verlegen
Hoch spannend und rhetorisch brillant wars, als der «Grand Old Man» der Schweizer Politik, Helmut Hubacher, im «Volksstimme»-Nachtcafé aus seinem Politiker-Leben erzählte. Hubacher fesselte.
los. Die Frage kommt weit aus dem rechten Spektrum, ist diffus und dreht sich irgendwie um Kindertagesstätten. Hubacher bleibt souverän, zeichnet die Schweizer Geschichte der Tagesstätten nach, zieht westeuropäische Vergleiche und sagt schliesslich – und mit dem hat der Fragesteller im «Volksstimme»-Nachtcafé wahrscheinlich überhaupt nicht gerechnet – «oder wollen Sie etwa noch mehr Ausländer in die Schweiz holen? Wenn Nein, dann müssen Sie sich für Kindertagesstätten einsetzen.»
Helmut Hubachers Antwort auf die Frage aus dem Publikum fügte sich nahtlos ins Gespräch mit «Volksstimme»-Chefredaktor Rolf Wirz ein. Der «Grand Old Man» der Schweizer Politik antwortete auf Wirz’ Fragen schnell, gescheit, aufrichtig und meistens schalkhaft. Die Leute im gut besetzten KiK waren bestens unterhalten.
Gegen die Deutschen
An seinen ersten Tag im Nationalrat, den 1. Juli 1963, kann er sich nicht mehr bewusst erinnern. Er weiss aber noch, dass die Arbeitsbelastung damals ungleich kleiner war als heute: «Ich sagte meiner Frau immer, ich gehe ins Ferienlager.» Sie hätten so häufig frei gehabt, dass er aus Verzweiflung gemeinsam mit einem Kollegen den FC Nationalrat gegründet habe. «So sassen wir wenigstens einen Nachmittag nicht in den Berner Beizen herum.»
Das erste Testspiel fand gegen den deutschen FC Bundestag statt. Er könne sich noch erinnern, wie die Mitglieder der Mannschaft sich nach den Plakaten für das Spiel erkundigt hatten: «Die hatten immer noch Wankdorf 1954 in ihren Köpfen. Unser Plauschmatch fand aber in Magglingen statt. Auf einem Spielfeld namens End’ der Welt.» Die Schweizer hatten gegen die Bundestagsabgeordneten keine Chance und verloren 0:5. Für das Rückspiel in Bonn setzten sie wie die Deutschen einen Nichtparlamentarier ein. YB-Goalie Walter Eich sorgte für ein 0:0 und schlechte Stimmung. Die Deutschen blieben dem Essen, das abends auf der Schweizer Botschaft organisiert wurde, fern. «Die konnten es nicht verputzen, wenn sie nicht gewannen. Die rannten immer, als ob es um die Weltmeisterschaft gehen würde.»
Der grösste Erfolg
Der heutige FCB-Fan Hubacher blieb im FC Nationalrat, bis er Parteipräsident der SP wurde. Dann sei die Arbeitsbelastung einfach zu gross geworden. Die Übernahme des Präsidiums war ein weiterer Erfolg in seiner langen Politikkarriere, die, wie Hubacher schmunzelnd sagte, aus so vielen Erfolgen bestand, dass er sich gar nicht mehr an den einzelnen erinnern könne. Von Wirz nach seinem grössten politischen Erfolg befragt, konnte sich der gebürtige Basler trotzdem entsinnen. Es waren die 36 Prozent Ja-Stimmen bei der Armeeabschaffungsinitiative von 1989. «Das EMD hat mit einem Ja-Anteil von höchstens zwölf Prozent gerechnet und war dann nach der Abstimmung wie gelähmt. Ich glaube das EMD hat sich bis heute nicht von dieser Niederlage erholt.»
Nach der Abstimmung setzte sich Helmut Hubacher aktiv für die Einführung des Zivildienstes ein und war schliesslich erfolgreich. «Dies war nur möglich, weil der Kalte Krieg vorüber war. Vorher glaubten die Leute, mit dem Zivildienst werde die Landesverteidigung untergraben.»
Honeckers Hand geschüttelt
Ähnliche Gefühle hatten die Leute, als Hubacher 1982 dem DDR-Staatsratvorsitzenden Erich Honecker während eines Besuches die Hand schüttelte. Vergangene Woche hat er den letzten Schmähbrief erhalten, der ihm auf vier handgeschriebenen Seiten dieses Handschütteln vorhält. «Ich habe viele gefragt, wie sie in dieser Situation gehandelt hätten. Ob sie Honecker statt die Hand zu geben, eine Ohrfeige gegeben hätten.» Abseits von dieser Episode, hat Hubacher einer seiner politisch spannendsten Abende in der DDR verbracht. Auf dem Reiseprogramm der SP-Delegation stand auch ein – mühselig ausgehandelter – Tag mit DDR-Dissidenten. Als die SP-Leute am Abend auf einem Schiff zum Nachtessen von Mitgliedern des Politbüros empfangen wurden, nahmen sie die Dissidenten einfach mit.
Nach anfänglicher frostiger Stimmung begannen die beiden Parteien miteinander zu diskutieren, denn «wegrennen konnten sie auf dem Schiff ja nicht.» Es habe sich eine absolut spannende Diskussion entwickelt und seit diesem Abend habe er es noch viel weniger verstanden, warum in diesem Staat auf normalem Weg keine Zusammenarbeit entstehen konnte.
«Dummi Schnuure»
Zweimal hat Helmut Hubacher versucht Basler Regierungsrat zu werden – zweimal scheiterte er. War die erste Kandidatur 1972 von rein taktischer Natur, wollte er vier Jahre später wirklich in den Regierungsrat. In seiner Funktion als Redaktor der «Arbeiter Zeitung» hatte er aber bereits einige Artikel geschrieben, die ihm Prozesse mit der Basler Oberschicht einbrachten. Die setzte nun alles daran, Hubacher als Regierungsrat zu verhindern. Ein spezielles «Anti-Hubacher»-Komitee wurde gegründet und der Wahlkampf war intensiv und anstrengend: «Damals kamen an eine Podiumsveranstaltung 1500 Leute. Es war wie ein Boxkampf.»
Hubacher verlor und begrub weitere Karrierepläne: «Es hatte auch Vorteile – ich war jetzt befreit vom Karrieredruck. Und ich war unabhängiger geworden.» Was auch die Basler Oberschicht, die ihn während des Wahlkampfs so bekämpft hatte, einsah. Ein Exponent dieser Schicht habe später einmal zu ihm gesagt, dass er zwar als Regierungsrat keine Stimme von ihm erhalte, er ihn aber bei Nationalratswahlen kumuliere. «Mir bruche in Bärn eine, wone dummi Schnuure hett.»
Sein wie du bist
Die Aufrichtigkeit, die es für eine «dummi Schnuure» braucht, hat ihn auch zu einem brillanten Redner und Schreiber gemacht. Sein Rezept ist einfach: Sei wie du bist. «Die Leute merken sofort, wenn du dich verstellst.» Wenn er einen Fernsehauftritt habe, stelle er sich vor, er diskutiere mit Freunden im «Braunen Mutz». Dass ihm das während seiner langen Karriere nicht nur Freunde eingebracht hat, ist klar. Obwohl seine Akzeptanz nach Abgabe des SP-Präsidiums stark zugenommen hat. Hubacher brachte es im Nachtcafé so auf den Punkt: «Als amtierender SP-Präsident bist du der Böse, als zurückgetretener Präsident der Gute und als gestorbener der Beste.»
Volksstimme Nr. 18 / 2003