Nachtcafé vom 01.08.1999   Liste aller Gäste       

René Rhinow
Baselbieter Ständeratspräsident 

René Rhinow «Wer in die Politik geht, erkennt: Man kann nicht ernten, was man sät»: René Rhinow.
Ständeratspräsident René Rhinow war Gast im «Volksstimme»-Nachtcafé Beziehungsnetze, Europa und Staatsbesuche Gestern begann in Bern die neue Legislatur ­ ohne den Baselbieter René Rhinow. Rechtzeitig zu seinem Rückzug aus der aktiven Politik hat der bis dato letzte Präsident des Ständerates im «Nachtcafé» aus dem Nähkästchen geplaudert. Rhinow betonte, dass es noch zu früh für eine abschliessende Bilanz seiner 12 Amtsjahre sei. Denn: «Politiker ernten meist nicht selber,was sie säen.»

dt. «Das Leben besteht nicht nur aus Politik», stellte René Rhinow, Ständeratspräsident des letzten Jahres nüchtern fest. Der Basler Staatsrechtsprofessor liess am vergangenen Donnerstag im «Volksstimme»-Nachtcafé frisch von der Leber seine zwölf Jahre in der Kleinen Kammer Revue passieren. Das Loslassen von der Politik werde ihm nicht leichtfallen, stellte er weiter fest. Vermissen werde er vor allem die vielen Begegnungen die er auf dem politischen Parkett machen durfte. Ebenso würden ihm sicher einige Freundschaften fehlen.
Ebenso nüchtern schätzte Rhinow sein Gewicht in hohen politischen Ämtern ein: «Wer in die Politik geht, erkennt: Man kann nicht ernten, was man sät.» In der Schweiz mit ihrem ausgeklügelten System brauche es zudem meist mehrere Anläufe, bis sich eine Neuerung durchsetze. Rhinow: «Man ist ein Zwischenglied einer Etappe.» Bei Politikern, die zu lange aktiv seien, bestehe dagegen die Gefahr, dass sie sich vom Volk entfremden und sich für unentbehrlich halten. Dass ihm dies geschieht, wollte der inzwischen 57-Jährige offenbar vermeiden; er macht nun seinem Parteikollegen Hans Fünfschilling Platz.
In Zukunft wird Rhinow wieder mehr Zeit haben für seine Professur. Seine politische Erfahrung will er als Berater weitergeben. Schliesslich wolle er auch mehr Zeit für Familie und Musse haben: «Doch ein Stubenhocker werde ich nie sein», stellte Rhinow gegenüber «Volksstimme»-Chefredaktor Robert Bösiger lachend fest. Freimütig gab Rhinow auch einige Müsterchen aus seiner Politkarriere preis. Am besten vielleicht die Details zum verpatzten Staatsbesuch des chinesischen Staatschefs Jiang Zemin in diesem Frühjahr: Der Eklat beim Empfang vor dem Bundeshaus war offenbar nicht genug. Das Protokoll geriet selbst beim Nachtessen durcheinander, als der hohe Gast nicht wie es sich gehört oben am Tisch, sondern mit dem Gesicht zur Wand gesetzt wurde. Als Zemin empört den Ort verlassen wollte, habe ihn der in der Nähe stehende Bundesrat Ogi geistesgegenwärtig gepackt und mit Nachdruck gesagt: «You stay here!» ­ Jiang Zemin blieb.
Doch Rhinow erzählte vor dem leider nur spärlich erschienenen Publikum nicht nur Anekdoten: Einmal mehr machte sich der liberale Vordenker für eine Öffnung der Schweiz gegenüber EU und UNO stark: Wer in dieser Welt Werte wie Friede, Sicherheit und Wohlstand erhalten wolle, müsse in den Gremien vertreten sein, in denen die Entscheide gefällt werden. Für den Staatsrechtler ist klar, dass die Schweiz «schlicht zu wenig Beziehungsnetze gespannt hat». Rhinow gab sich überzeugt, dass die Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen für die Schweiz besser verlaufen wäre, würde das Land über die nötigen Netze verfügen. Rhinow widersprach der Auffassung, dass die Stimme der Schweiz im Konzert der Nationen ohnehin nicht zu hören wäre. Hier gelte es Koalitionen zu schmieden und Bündnispartner zu gewinnen: «Wichtig ist, wer überzeugen kann, und nicht die Grösse der Nation.» Der Publikumsfrage nach einem Kanton Nordwestschweiz beantwortete der Professor dagegen klar ablehnend: Rhinow sieht den Weg eher über eine verstärkte Vernetzung auch über die Landesgrenzen hinaus, als im Niederreissen von Kantonsgrenzen. Auch gegenüber einer Wiedervereinigung der beiden Basel ist Rhinow skeptisch: «Diese Energie können wir sinnvoller einsetzen.

Volksstimme Nr. 145 / 1999