Heiri Müller
Moderator der Tagesschau und Musiker
«Ich fühlte mich in Afrika fast schon wie ein Schwarzer»
Tagesschau-Moderator Heinrich Müller könnte sich vorstellen, nur noch auf die Karte Musik zu setzen. Ausserdem lässt er in Afrika Mauern um Bäume bauen, wie er im «Volksstimme»-Nachtcafé verriet.
gr. «Was macht ein Fernsehmoderator, wenn er die Leute, zu denen er etwas sagen soll, sieht? Ich kann ja nicht irgendwelchen Mist erzählen.»
Eine ganz neue Situation für Tagesschausprecher Heinrich Müller. Sieht man ihn am Fernsehen, sieht er sein Publikum nicht. Steht Müller aber auf der Bühne, sieht er es. Dementsprechend nervös sei er vor seinem ersten Auftritt auf dem Basler Floss im August gewesen, wie Müller auf die erste Frage von «Volksstimme»-Redaktor Patrick Moser antwortete.
Doch man mochte Müller gar nicht so recht abnehmen, dass er vor Publikum Mühe haben könnte, wenn man ihn am vergangenen Donnerstag in der Oberen Fabrik erlebt hat. Gleich von Anfang an wandte er sich ans Publikum: «Ich hoffe, ihr versteht nach dieser Stunde auch etwas über den Menschen Heinrich Müller.»
Was ist er also für ein Mensch, der Heiri? Er stammt aus einem Pfarrhaus, ist im luzernischen Reiden und in Rheinfelden aufgewachsen, bezeichnet sich selber als «Landei». Weshalb er anfangs mit der Stadt Basel, wo er Gymnasium und Uni besucht hatte, seine liebe Mühe bekundet hätte, sagte Müller.
Und auch wenn der studierte Jurist erst heuer, im Alter von 58 Jahren, seine erste CD veröffentlicht hat, faszinierte ihn die Musik schon länger: mit 12 durfte er seine Geige gegen eine Gitarre eintauschen. «Der Musikladen hat mich fasziniert, er roch nach Rauch, Saiten, Plektren», erinnert sich Müller. Der erste Song, den er sich beigebracht hat: «Kalkutta liegt am Ganges».
Müller schaffte es mit 18 Jahren in Jan Hiermeyers Sendung «Talente stellen sich vor», wo er einen Song zum Besten geben durfte. Eine Art frühe «MusicStar»-Sendung also, noch bescheidener, doch Mädchen hätten ihn schon mal angestrahlt, wenn sie ihn erkannt hätten, sagte Müller. Doch mit den heutigen «MusicStars» kann Müller, per Eigendefinition «Rocker mit Herz», nicht so viel anfangen: «Das gibt einen Song für die Hitparade. Ich selber möchte Songs machen, die nachhaltiger sind.»
Dabei half ihm der amerikanische Keyboarder Tim Hinkley, der unter anderem schon für die Rolling Stones arbeitete. «Du willst also eine Platte machen, Heiri? Alles was ich brauche, sind deine Songs und deine Stimme.» Das habe ihm Hinkley gesagt, erzählt Müller, also habe er ihm seine Songs geschickt. Songs, die sich irgendwo zwischen Rock’n’Roll und Country bewegen. Einige Zeit später reiste er nach Nashville, wo Müller in nur dreieinhalb Tagen mit Studio-Musikern die Platte einspielte.
Elternhaus war «schuld»
Doch bevor es so weit war, geschah noch vieles in Müllers Leben. Erst verschlug es ihn nach Nigeria, woran eigentlich sein Elternhaus «schuld» war: Durch schwarze Missionare, die dort ein- und ausgingen, bestand eine Verbindung zu Afrika. Schliesslich stiess Müller auf Sprachforscher, die in Nigeria eine bisher unbekannte Sprache übersetzt hatten, und jemanden suchten, der darüber berichtete: «Ich wollte das machen. Ich wusste, dass das mein Leben verändern würde», sagte Müller. Afrika war für rund zehn Jahre seine zweite Heimat: «Ich fühlte mich fast schon schwarz», sagte Müller, und wenn er in den Spiegel geschaut habe, habe er sich nicht mehr bewusst als Weissen wahrgenommen.
In Nigeria dozierte er unter anderem Verfassungsrecht: «Ich unterrichtete Christen, Moslems, anders Denkende. Ich hoffe, ich konnte dort etwas zur Verständigung beitragen.» Einfach wars nicht, denn das Land stand unter einer Militärregierung: «Es war am Kochen», sagte Müller. Angst habe er aber nicht verspürt.
Dafür lernte er dort seine Frau kennen, sie war 18 Jahre jung und wollte nichts von ihm wissen. 20 Jahre später hat es schliesslich doch geklappt, mit der Folge dass er heute einen Stiefsohn hat, der mit seinen Kindern in den USA lebt – und natürlich Familie in Afrika.
Müller unterstützt zudem karitative Projekte: mit seiner Hilfe konnte ein Damm gebaut werden, er kümmert sich um eine Apotheke – und lässt Bäume pflanzen: «Das ist eine komplexe Sache», meint Müller, «erst muss man Setzlinge finden, dann jemanden, der sie bewässert, und schliesslich muss man sie vor dem Vieh bewahren. Zäune reichen dafür nicht. Schliesslich bauten wir eine Mauer um jeden einzelnen Baum.»
Zur Tagesschau kam Müller ebenfalls durchs Reisen: «Ich erhielt ein Angebot als Roving Reporter», so Müller. Das heisst, er hätte in der ganzen Welt Beiträge realisieren können. «Doch da gab es auch andere, die diesen Job wollten – und plötzlich hiess es: Heiri, du musst moderieren.» Was sich wohl so schnell nicht mehr ändern wird, obwohl sich Müller durchaus vorstellen könnte, nur noch Musik zu machen.
Obs dazu kommen wird, wird sich zeigen. Solange wird Müller weiterhin die Nordwestschweiz besuchen, etwa das Schwarzbubenland. Denn durch seine Jugend in Rheinfelden verbindet ihn einiges mit der Region. Davon zeugt etwa folgende Erinnerung Müllers: «Bei einem Picknick auf der Sissacher Fluh durfte ich zum ersten Mal ein halbes Güggeli essen.»
Volksstimme Nr. 113 / 2004