Nachtcafé vom 07.03.2002   Liste aller Gäste       

Eliane Schweizer
Sex-Expertin 

Eliane Schweizer «Blick»-Sexberaterin Eliane Schweitzer im «Volksstimme»-Nachtcafé: «In zwanzig Jahren sind Pickel und Hakennasen attraktiv»
Sie ist Sexberaterin beim «Blick» und Nachfolgerin der legendären Marta Emmenegger. Eliane Schweitzer war zu Gast im «Volksstimme»-Nachtcafé und redete über ihren Beruf und wie sie zu ihm fand. Auch die Entwicklung der Sexualität in der Schweiz war ein Thema.

gr. «Alle fragen mich das und ich weiss es eigentlich nie», so antwortete «Blick»-Sexberaterin Eliane Schweitzer auf die Frage von «Volksstimme»-Redaktor Daniel Aenishänslin, wie sie zu ihrem nicht ganz alltäglichen Beruf gekommen sei. Die Sorgen anderer Leute hätten sie immer schon interessiert, erklärte die 58-Jährige. Zu ihrer Zeit hätte es noch keinen Doktor Sommer gegeben, höchstens den Briefkastenonkel.
Nach Zwischenstationen bei «Annabelle» und dem Herrenmagazin «Penthouse» war Schweitzer als Assistentin von Marta Emmenegger tätig. Von ihr habe sie auch viel gelernt, ausserdem hätten beide den gleichen Ansatz bei der Beratung. Weiteres Rüstzeug für ihre Beraterinnen-Tätigkeit gaben ihr eine eigene Psychoanalyse sowie verschiedene Kurse. Ein Psychologiestudium habe sie nie absolviert. Dies empfinde sie auch nicht als zwingend, so Schweitzer.

Keine Probleme mit «Blick»
Angesprochen auf den etwas dubiosen Ruf des «Blicks» erzählte Schweitzer, dass sie die Zeitung lange nicht gelesen habe, da ihr die politische Ausrichtung gar nicht zugesagt habe. Als grossen Vorteil heute empfindet sie aber, dass sie in ihrer Beraterinnen-Position an Leute herankommt, die sich nie zu einem Therapeuten wagen würden: «Meine Freunde in Therapeutenkreisen sind deswegen richtig neidisch.»
Interessant waren Schweitzers Ausführungen zum Stellenwert der Sexualität in ihrer Jugend. Die 1943 Geborene verlebte ihre Teenagertage in den Fünzigern. Das allgemeine Klima beschreibt sie als «sehr eng», politisch gesehen standen «Überväter» wie Adenauer im Rampenlicht, und sich zu fügen war an der Tagesordnung. So gesehen empfand sie Liebe und Sexualität viel spannender als heute, da vieles im Geheimen stattfinden musste.
Mit Sex übersättigt
Heutzutage sieht Schweitzer ein Problem in der ständigen Konfrontation mit sexuell angehauchten Bildern: «In jedem Hollywoodfilm sieht man recht genau, was ein Pärchen miteinander treibt.» Durch die visuell ständige Präsenz der Sexualität entstehe in den Köpfen der Leuten der Eindruck, dass «man ständig wollen und können muss». Jugendliche würden mit dem Bild einer Erwachsenen-Sexualität aufwachsen und können nicht mehr auf ihre eigene Art in das Thema reinwachsen.
Wie ein Damoklesschwert hängt auch der ständige Druck auf einem, schön sein zu müssen. «Ich glaube, in 20 Jahren sind Hakennasen und Pickel wieder begehrenswert», kommentierte Schweitzer das Thema.
Meistens geschehe es eher selten, dass ihr Umfeld sie nach einem Rat frage: «Für meine Nachbarn bin ich einfach ihre Nachbarin», erklärt Schweitzer. Ihr persönliches Umfeld reagiere sehr tolerant auf ihren Beruf, es komme höchstens vor, dass sie ein «Was, beim 'Blick'?» als Reaktion ernte.
Eigentlich schreibe sie gar nicht so gerne, gibt Schweitzer freimütig zu: «Da kommt Jürg Ramspeck, schreibt schnell drei Stunden und dann ist er schon wieder verschwunden. Ich kann das so nicht.» Viel lieber berate sie im Gespräch, zum Beispiel, wenn sie während der Mittagsstunden für telefonische Beratung zur Verfügung steht.
Was die Themenauswahl betrifft, habe sie eigentlich wenig Vorgaben. Wichtig sei die redaktionelle Weisung, dass es die Leute ansprechen müsse. Anfragen zu bizarren Themen erhalte sie relativ wenige. Beim grössten Teil der um Rat Suchenden handle es sich um Menschen von 30 bis 50. Mit deren Problemen kann sich Schweitzer am besten identifizieren.
Das Thema habe bei ihr noch nie eine Übersättigung ausgelöst: «Höchstens die Arbeit wird mir zu viel, das Thema nie», schmunzelt Schweitzer.
Am meisten stört es sie, wenn sie merkt, dass eine Beratung nicht den erwarteten Erfolg zeigt. Auf der anderen Seite erhält Schweitzer immer wieder positive Rückmeldungen, sei es auf ihre Ratschläge hin oder sei es, dass der Hilfe Suchende eine erfolgreiche Therapie in Angriff genommen hat. Natürlich erhalte sie auch immer wieder Anfragen von Leuten, die ein Problem vortäuschen, um sich einen Scherz zu erlauben: «Am schnellsten fliegen Leute auf, die sich als Fetischisten ausgeben, da merke ich an ihren Antworten sehr schnell, dass sie flunkern.»
Auf die Frage, woran die Schweizer am meisten kranken, nennt sie die Lustlosigkeit. Durch die ständige Präsenz der Sexualität in der Öffentlichkeit habe wohl eine Übersättigung stattgefunden. Weiter äussert sich Schweitzer eher skeptisch zur sexuellen Revolution in den späten Sechzigern. Sicher sei die Gesellschaft offener und toleranter geworden, wirklich stattgefunden habe aber eine Vermarktung: «Dennoch glaube ich an die Liebe und die Leidenschaft.»

Volksstimme Nr. 30 / 2002