Nachtcafé vom 05.02.2015 |
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Trotz traumatischem Kindheitserlebnis im Kino, startet Claudia Lorenz nun als Filmregisseurin durch. Ihr Erstlingswerk «Unter der Haut» berührt, denn es entstand auf authentische Art und Weise.
Zum Glück hat Filmregisseurin Claudia Lorenz die finanziellen Mittel, deren Beschaffung doch einige Zeit in Anspruch nahm, in ihren ersten abendfüllenden Streifen investiert und nicht in ein idyllisches Einfamilienhäuschen im Mittelland. Die Kosten für «Unter der Haut» oder fürs Eigenheim fallen etwa gleich hoch aus, wie die 39-Jährige im «Volksstimme»-Nachtcafé vorrechnete: «1,4 Millionen Franken. Damit ist es eigentlich ein Billigfilm – quasi M-Budget.»
Die gebürtige Bielerin, die am Donnerstagabend Gastgeber Robert Bösiger im ersten Nachtcafé dieses Jahres in der Oberen Fabrik in Sissach Rede und Antwort stand, hatte als Kind ein traumatische Erlebnis im Kino.
Obwohl eigentlich zu jung, wurde sie in die Vorführung von «E.T.» geschmuggelt. «Dieser Film ist mir total eingefahren. Ich verdrückte einige Tränen und hatte ein gebrochenes Herz.» In diesem Jahr nun kam Lorenz’ erster abendfüllender Streifen in die Kinos. Mit «Unter der Haut» landete Lorenz einen Volltreffer und durfte die 50. Solothurner Filmtage eröffnen. «Einerseits ist mein Film nur einer von 180 Filmen, die in Solothurn gezeigt werden. Andererseits aber wurde er in einem exklusiven Rahmen gezeigt. Das ist eine Ehre.»
Alle von Coming-out betroffen
In «Unter der Haut» sieht sich Alice nach 18-jähriger Ehe mit der Tatsache konfrontiert, dass ihr Mann Frank sich immer stärker von Männern angezogen fühlt. Nicht nur Frank, sondern auch sie und ihre drei Kinder machen eine Wandlung durch. «Kein leichter Stoff», hielt Bösiger fest und wollte wissen, woher Regisseurin Lorenz die Idee dafür hatte. «Ich konnte einige Male beobachten, dass nach dem Coming-out einer Person deren Umfeld genau gleich betroffen ist», erzählte Lorenz. Sie habe sich gefragt: Was heisst das für die Familienmitglieder?
Zu authentischen Antworten kam Lorenz während ihrer Recherche. Denn eine Frau, deren Mann sich wenige Wochen zuvor in einen Mann verliebt hatte, hat sich aus eigenem Antrieb bei der Filmregisseurin gemeldet. «Ich konnte mit ihr den ganzen Prozess durchlaufen und alle Stationen miterleben», sagt Lorenz. Letztlich entstand aus dieser Begegnung das Gerüst für das Drehbuch. Von der ersten Idee bis zur ersten Kinovorführung vergingen sechs Jahre. Sechs Wochen dauerten die Dreharbeiten.
Bekannte Namen wie Hanspeter Müller-Drossaart, Gilles Tschudi oder Melanie Winiger sucht man im Cast von «Unter der Haut» vergebens. Einzig Hauptdarstellerin Ursina Lardi hat hierzulande einen gewissen Bekanntheitsgrad. «Das wollte ich explizit nicht», sagt Lorenz. «In einem Drama ist es von Vorteil, wenn die Darsteller nicht schon aus anderen Filmen bekannt sind.» Für die Rolle der Alice habe die Regisseurin von Anfang an die Schauspielerin Lardi im Kopf gehabt. Und sie konnte sie vom Drehbuch und ihren Vorstellungen überzeugen.
Kleinere Brötchen
Claudia Lorenz wird mit ihrem Erstlingsfilm nicht die ganz grosse Masse in die Kinos locken. Während einer der erfolgreichen Schweizer Filme «Die Herbstzeitlosen» von Regisseurin Bettina Oberle vor einigen Jahren über 600 000 Kinogänger verzeichnete, bäckt die Newcomerin kleinere Bröchten: «Wenn 6000 Personen meinen Film in den Kinos schauen, kann ich zufrieden sein.»
In der Schweiz ist es laut Lorenz kaum möglich, dass ein Film die gesamten Kosten an der Kasse wieder einspielt. Das sei auch nicht das Ziel. «Filme haben einen kulturellen Wert», sagt Lorenz. «Ueli der Knecht» etwa stelle einen Meilenstein in der Schweizer Kultur dar. Die 39-jährige Regisseurin wünscht sich daher, dass der Bund mehr Geld für die Filmförderung springen lässt. «Zum Vergleich: Der Bund investiert gleich viel in die Filmförderung wie die Stadt Zürich in ihr Opernhaus», sagt Claudia Lorenz und merkt – trotz anders lautenden Kritiken – an, dass es aktuell «sehr gut» um die Schweizer Filmszene stehe.