Störtebekers
Schweizer Seemannschor
Von der Arbeit auf dem Schiff, von hoher See und fernen Ländern erzählten die ehemaligen Seemänner Pitt Isler und Markus Tresch im «Volksstimme»-Nachtcaf Danach erfüllten die «Störtebekers» die Obere Fabrik mit Seemannsliedern
bas. «Das hat mit Sennen-Chutteli nichts zu tun, das ist eine Stauer-Uniform», stellte Pitt Isler in Bezug auf sein blaues Hemd klar, das er am Donnerstagabend in der Oberen Fabrik in Sissach trug. Zusammen mit Markus Tresch stellte sich der ehemalige Seemann mit beeindruckendem Schnurrbart den Fragen von Nachtcafé-Gastgeber Robert Bösiger, bevor der Basler Seemanns-Chor Störtebekers ein Konzert gab.
Die «Störtebekers» sind der einzige Schweizer Seemanns-Chor. Seine Mitglieder sind fast alle früher einmal zur See gefahren. Und in diese Welt entführten Isler und Tresch während des Talks auf höchst unterhaltsame Weise.
Auf See in einer anderen Zeit
Isler erledigte während seiner Zeit auf See Aufgaben wie Rost klopfen oder Streicharbeiten auf Deck, die heute nicht mehr auf See, sondern in einer Werft erledigt werden. Sowieso ist die Seefahrt im 21. Jahrhundert nicht mehr vergleichbar mit jener der 1960er-Jahre, als die beiden Talk-Gäste in die weite Welt hinaus fuhren. «Früher hatten Schiffe viel mehr Besatzungsmitglieder», sagte Tresch, der als Maschinist arbeitete. «Wir kontrollierten an der Maschine noch alles von Hand. Heute macht das einer mit einem Computer, der steht nicht mehr im bis zu 45 Grad heissen Maschinenraum.»
Obwohl es harte Arbeit war, haben weder Isler noch Tresch den Entscheid, zur See zu fahren, je bereut. «Es war die schönste Zeit meines Lebens», sagte Tresch, der während dreier Jahre zwischen Europa und Westafrika, Vietnam und Südafrika sowie Westindien und Kanada pendelte. Isler war acht Jahre auf See. «Seemänner sind ein Volk für sich», sagte er.
Von den Mädchen in den Häfen
Natürlich gehört zur Seefahrt auch eine gute Portion Seemannsgarn, und so mussten Zuhörer, die gerne sofort die Wahrheit erfahren hätten, sich oftmals etwas in Geduld üben. Islers erste Antwort auf die Frage, was er als Seemann auf dem Schiff denn so getan habe, war denn auch: «Gefressen und gesoffen.» Erst im zweiten Anlauf erfuhr man vom Schichtplan, in dem immer auf vier Stunden Arbeit acht Stunden Ruhezeit kamen, und so das Schiff rund um die Uhr unterhalten wurde.
Als Bösiger fragte, ob es denn stimme, dass ein Seemann in jedem Hafen ein Mädchen hatte, verneinten beide Seebären vehement: «Das ist ein Märchen», erklärte Tresch: «Nur in jedem zweiten Hafen.» – «Ach, in jedem Hafen mindestens zwei», meinte hingegen Isler. Der Spruch «Wenns nicht wahr ist, ist es wenigstens gut erfunden» muss definitiv auf See kreiert worden sein.
Frauen am Schifferklavier
Während des rund einstündigen Talks erfuhr das zahlreich anwesende Publikum auch einiges über Schrecksekunden auf Deck, Dieselgestank bei schwerer See, die Gefühle von Seebären auf Kreuzfahrten und über Klaus Störtebeker, dem Namensgeber des Chors.
Nach kurzer Umbaupause gaben die «Störtebekers» ein paar Seemannslieder und Shantys zum Besten. Das gute Dutzend singender Seebären (Erkenntnis: Auf dem Schiff trägt man Schnauz) wurde von zwei Frauen am Schifferklavier – also am Akkordeon – begleitet. Mit ihren tragenden Stimmen erfüllten die Männer die Fabrik und brachten die Leute beim krönenden Abschluss ihres Konzerts, dem Friesenlied, gar zum Schunkeln.
Nach diesem etwas anderen Nachtcafé reckte wohl der eine oder andere Besucher verwundert die Nase in die Luft, als er die Obere Fabrik verliess und ihn draussen keine salzige Brise empfing. Und er erkennen musste, dass das einzige Wasser weit und breit nicht die Nordseewellen waren, die «an de Strand trecken», sondern bloss das Rinnsal der Ergolz.
Bilder zum Nachtcafé mit Störtebekers finden Sie in unserer Galerie auf www.volksstimme.ch
Volksstimme Nr. 98 / 2013