Nachtcafé vom 26.08.2014   Liste aller Gäste       

Simonetta Sommaruga
Bundesrätin 

Simonetta Sommaruga Bundesrätin Simonetta Sommaruga beeindruckte die Nachtcafé-Gäste: «Wir sprechen von Menschen und Schick­salen»
Der Talk mit Bundesrätin ­Simonetta Sommaruga im Nachtcafé der «Volksstimme» in Sissach hat sich in erster Linie um die Stichworte Masseneinwanderung und Asylwesen gedreht. Aber nicht nur.

Platzen müsste man eigentlich vor Stolz: Die «Volksstimme» konnte ihren Lesern am vergangenen Donners­tag bereits zum dritten Mal nach ­Moritz Leuenberger und Eveline Widmer-Schlumpf ein Gespräch mit einem aktuellen Mitglied des Bundes­rats bieten. Zu Gast im Nachtcafé war Simonetta Sommaruga, die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements. Und um den Ver­gleich mit Leuenberger und Widmer-Schlumpf abzuschliessen: Wie bei ihnen sassen erneut zwei, drei gross gewachsene Männer mit Knopf im Ohr auffällig unauffällig in den Reihen, und ihr gelassener Gesichtsausdruck war bezeichnend für die Stimmung in der ehemaligen Bändeli-Fabrikationshalle. Nervöser wurden sie auch nicht am Ende des einstündigen Gesprächs. Da bewegte sich Simonetta Sommaruga, die während des einstündigen Talks vom hohen Wert des direkten Kontakts mit der Bevölkerung gesprochen hat, tatsächlich längere Zeit durch die dicht besetzten Sitzreihen, liess sich da in ein Gespräch verwickeln, dort gab es eine Unterschrift.
Dazwischen bemühte sich Regierungs­präsident Isaac Reber, ihr nachträglich noch ein Geschenk des Kantons in die Hand zu drücken. Zwar haben er, Regierungsrat Urs Wüthrich und der frühere SP-Präsident Martin Rüegg dem hohen Besuch einen Empfang bereitet. Doch diesem ging jeder Anstrich eines offiziellen Akts ab, man umarmte und duzte sich und begab sich nach drinnen, wo die zweite kurze und knappe Begrüs­sungsrunde mit Nationalrätin Maya Graf und Gemeindepräsident Peter Buser folgte – denn Gesprächsleiter Michael Wieland, der stellvertretende «Volksstimme»-Chefredaktor und dazu stellvertretende Talkmaster, wollte pünktlich beginnen.
Der Grossteil des folgenden Dialogs drehte sich um die Masseneinwanderung und vor allem um das Asylwesen. So lag es nahe, dass die reine Unterhaltung und die hadelsüblichen Lacher weitgehend ausblieben. Die Bun­desrätin löste  grösste Betroffenheit aus, als sie schilderte, was sie in jordanischen Flüchtlingslagern alles erlebt hat und was in einem Beamten vorgeht, der einen Asylbewerber zurückschickt und erfährt, dass dieser daheim sogleich inhaftiert worden sei. Deshalb habe sie die jüngsten Asylpläne der SVP im Fernsehen bewusst als «naiv und menschenverachtend» bezeichnet. «Wir sprechen hier von Menschen, es geht um Einzelschicksale», sagte sie und erntete Szenenapplaus.
Tatsächlich betrafen auch sämtliche Fragen aus den Zuhörerreihen das Asylwesen. Einzig Regula Nebiker, die schon bald offizielle Regierungsratskandidatin sein dürfte, erkundigte sich aus dem Publikum, welches ihrer zahlreichen weiteren Dossiers ihr sonst noch am Herzen liege. «Das Familienrecht», antwortete die Bundesrätin spontan, «auch wenn es deshalb in den Zeitungen bereits hiess, ich wolle in der Schweiz die Polygamie einführen.»
Die SP-Magistratin scheint sich im Bundesratsamt und -team wohlzufühlen. Kein Tag verlaufe wie der andere, berichtete sie, das mache es spannend. «Wir funktionieren auch gut und gehen respektvoll miteinander um. Es wird nie auf den Mann ge­spielt», schilderte sie den Umgang der vier Landesväter und drei -mütter. Diese würden sich, verriet sie, an den offiziellen Sitzungen jeweils am Mittwoch siezen, im privaten Austausch aber duzen. Als sie gegen Ende des Talks von Michael Wieland gefragt wurde, ob der Stress und der Verdruss nie dazu führe, vom Regieren des Landes genug zu haben, reagierte sie in gespielter Entrüstung mit einer Gegenfrage: «Haben Sie im Verlauf des Gesprächs jemals diesen Eindruck erhalten?»
Die Bernerin bemüht sich auch sehr, Sorgen und Ärger im Büro zurückzulassen. Denn trotz des Asyl-Dossiers könne sie sich keine schlaflosen Nächte leisten, am nächsten Tag müsse sie wieder fit sein. «Und ich bin nicht 24 Stunden Bundesrätin», fügte sie an. Benötigt sie dennoch einmal eine Abwechslung, so setzt sich die ausgebildete Konzertpianistin da­heim ans Klavier und befindet sich sofort in einer völlig anderen Welt. Oder aber sie holt im Keller den Fuchs­schwanz hervor und stutzt nicht gleich ihren Flügel, dafür aber die Sträucher in ihrem Garten.

Volksstimme Nr. 95 / 2014