Claude Longchamp
Politikwissenschaftler und Meinungsforscher
Verstärkter Wunsch nach ländlicher Idylle
Meinungsforscher Claude Longchamp hat sehr viel und sehr ausführlich über Politik, Wahlen und Abstimmungen gesprochen, als er am Donnerstag in Sissach Gast des Nachtcafés der «Volksstimme» war. Aber nicht nur.
Dank seinen regelmässigen Auftritten am Fernsehen kennt ihn die ganze Schweiz. Oder zumindest alle, die an der Politik, also am öffentlichen Leben Interesse bekunden. Wenn der 59-jährige Claude Longchamp den Ausgang einer Abstimmung oder die Prognosezahlen zu einer Wahl zu erklären versucht, hängt die Fernseh-Nation an seinen Lippen – respektive an seiner Fliege.
Als er am Donnerstagabend als Stargast im Sissacher Nachtcafé sass und dabei wiederum eine auffallend hohe Aufmerksamkeit genoss, gab er zu, dass er seine Bekanntheit durchaus geniesse. Als er zum Beispiel auf dem Weg zum Nachtcafé in Olten den Zug wechselte, grüsste ihn ein fremder Mann mit Namen und sagte ihm unaufgefordert, wann und wo genau der nächste Zug nach Sissach fährt. Neben ihm kennt man dort offenbar auch den Talk der «Volksstimme».
Doch der Politologe, Historiker und Meinungsforscher mit einer starken Schwäche für Zahlen war nicht ins Oberbaselbiet gefahren – der Umwelt zuliebe wechselte er vor Jahren auf den öffentlichen Verkehr –, um Anekdoten zum Besten zu geben. In erster Linie setzte er sich mit komplexen Themen wie die Macht des Geldes, Ausländer-Stimmrecht, die Abstinenz der Jungen an der Urne und Parteienvielfalt auseinander. Und er tat dies sehr ausführlich und eloquent, sodass Talkmaster Robert Bösiger kaum dazu kam, einmal nachzuhaken, geschweige denn, seinen ganzen Fragenkatalog abzuarbeiten.
Ausführlich, sachlich, klug
Longchamps Ausführungen waren für die an Politik interessierten Gäste in der Oberen Fabrik – und das waren sie wohl alle – so spannend, dass kaum jemand realisierte, wie die Zeit verstrich. Insbesondere als er aus der Aussensicht über das Baselbiet sprach, öffnete er so manchem «Hiesigen» die Augen. Die Baselbieter hätten zuletzt an der Urne Entscheidungen getroffen, die national für Aufsehen gesorgt hätten: Erstens lehnten sie die Fusion mit Basel-Stadt schroff ab, zweitens kippten sie die Sozialdemokraten aus der Regierung.
«In den beiden Basel gibt es zwei Pole, nämlich die moderne Stadt und auf der anderen Seite das konservative Landgebiet», sagte er, «spannend ist aber, was mit dem Gebiet dazwischen geschieht». Dort, so stellt Longchamp fest, hat nach einer langen Zeit der Verstädterung der Wunsch nach ländlicher Idylle die Oberhand erlangt.
Longchamp analysiert diese Entwicklungen, die letztlich zu einer Stärkung der bürgerlichen Parteien führen, nüchtern – auch wenn sein Herz auch bildlich auf der linken Seite schlägt. In Gegenwart der Sissacher Politprominenz mit Nationalrätin Maya Graf, Regierungsrat Isaac Reber und seinem früheren Amtskollegen Urs Wüthrich sagte der Politologe einen eher unerfreulichen 18. Oktober für deren Parteien voraus.
Ein Fan der direkten Demokratie
Longchamp gab sich als glühender Verfechter der direkten Demokratie zu erkennen. Sie führe dazu, dass sich die Bürger mit der Politik identifizieren können. Politik, Politik, Politik – sie diktiert sein Leben. Die jüngeren Mitarbeiter in seinem Meinungsforschungsinstitut necken, bevor sie in den Feierabend gehen, ihren Chef bisweilen mit der Frage, wie es eigentlich um seine «Work-Work-Balance» stehe.
Aber so richtig privat wurde der Gast erst, als ihn Nachtcafé-Moderator Robert Bösiger zum Stichwort Sorgenbarometer befragte: Was ängstigt den führenden Erforscher der grössten Probleme des Schweizers selber am meisten? Da fiel kein spontanes Stichwort wie Klimaveränderung, Flüchtlinge, Wirtschaft, dafür dachte der Gefragte nach, als ob er abwägen würde, wie weit er vor dem Publikum seine Seele öffnen soll. Dann knüpfte er beim bereits einmal erwähnten schweren Unfall an, den er vor Jahren erlitten und nur mit Glück überwunden hatte. Als Spätfolge drohe ihm nun, auf den Rollstuhl angewiesen zu sein. «Das ist meine grösste Sorge», wiederholte er. Als wolle er damit ausdrücken: Zuerst ist der Mensch ein privates Wesen, erst danach ein politisches.