Heinrich Wiesner
Schriftsteller und kritischer Zeitgenosse
hjg. Heinrich Wiesner hatte im Oberbaselbiet schon etliche Lesungen. Nach Sissach wurde der mit zahlreichen Preisen geehrte Meister der literarisch knappen Form noch nie eingeladen, wie er mit einem Schmunzeln vermerkte. Die Gäste des «Volksstimme»-Nachtcafés freuten sich am letzten Donnerstag umso mehr am kurzweiligen Gespräch von Chefredaktor Robert Bösiger mit dem begnadeten Beobachter und Schriftsteller ohne Starallüren aus unserer Region.
Als Beispiele aus den «Lakonischen Zeilen» hier drei Aphorismen, die des Autors verbale Schlagkraft zeigen: «Er kann ruhig sein Gesicht verlieren. Er besitzt mehrere.» Oder: «Schon manche Erleuchtung verdunkelte die Welt.» Und: «Die grossen Veränderungen der Welt werden durch Grosse bewirkt. Die grössten durch Wahnsinnige.»
Jaromir bei den Mammutjägern
Wiesner hat inzwischen 24 Bücher geschrieben. Demnächst wird auch sein nächster Schülerroman «Jaromir» (3. Teil) herauskommen. «Jaromir bei den Mammutjägern» hat einen realen Hintergrund. Der zufällige Fund von Höhlenmalereien im Artège-Tal, deren Entstehung auf 30000 vor Christus datiert werden, hat ihn fasziniert und dazu bewogen darum herum ein spannendes Buch zu schreiben.
«Die Menschen. Die Dinge.»*
Heuer kamen die Lesebuchgeschichten «Die Menschen. Die Dinge.» im Verlag Lenos, Basel, heraus. In kürzeren oder längeren Texten liest man vom «poetischen Chronisten» wie ihn Dieter Fringeli einmal genannt hat, mit lakonischer Knappheit Erlebnisse, reale und fiktive Begegnungen, brillante Erzählungen und Begebenheiten, Erlebnissse, die von den Widersprüchen des Lebens handeln. Dabei entpuppt sich Wiesner einmal mehr als genauer Beobachter der Menschen und Dinge, der keine Tabus scheut und bewusst aneckt.
Neben andern Beispielen aus diesem empfehlenswerten neuen Buch zitierte Wiesner eine kleine Gesichte, die mich — als Direktbetroffener ehemaliger Beatles-Fan und heute mit schütterem Haarwuchs Gesegneter — ganz besonders amüsierte.
«Man sieht es ihm an, er trägt schwer an seiner Glatze und kann sich nicht abfinden mit seinem frühen Haarverlust. Darum greift er zu einer List, indem er die seitlich verbliebenen Haare wachsen lässt und sie sorgfältig über die Glatze kämmt. Damit sie halten, pomadisiert er sie. Durch die brettige Haarschicht glänzt um so auffälliger die Kopfhaut. Stände er zu seiner Glatze, kleidete sie ihn.»
Der Prophet im eignen Land...
Angefangen hat Schriftsteller Heinrich Wiesner mit Gedichteschreiben im Jahr 1960. Kurze Gedichte folgten, mit gedanklichen Verknappungen, also Kürzestgedichte, die erst bei den Schweizer Verlagen Anerkennung fanden, als sie in Deutschland grossen Anklang fanden. «Tagnächtlich» schrieb er diese Kürzestgedichte. In den 60er-Jahren folgten die Lakonischen Zeilen, später Lapitare Geschichten.
Robert Bösiger verstand es gekonnt, Wiesner, den guten Beobachter seiner Umgebung und der Menschen mit ihren Stärken und Schwächen in unserer schnelllebigen Zeit zu interviewen. Mit Schmunzeln vernahm man Einzelheiten aus Wiesners Jugendzeit, den heiteren Begegnungen, aber auch Zwisten mit «heiligen Kühen» in Kirche und Staat.
Man vernahm von seiner Wandlung vom Antimilitaristen zum überzeugten Verfechter unserer Landesverteidigung, von seinem Wirken als reformierten Lehrer in einer katholischen Gemeinde. Dazu genossen die KiK-Gäste literarische Rosinen aus dem grossen Kuchen von Wiesners Werken.
Der ehemalige Lehrer, der von sich sagt, dass er das gerne war, aber sich eher als Trainer statt Pauker und Schulmeister verstand, schrieb vorerst Gedichte. Mit einem verstehenden Lächeln wurden auch die zahlreichen mehr oder weniger reimenden Verse und Gedichte, die in der «Volksstimme» abgedruckt werden, quittiert.
Wiesner begreift die grosse Leidenschaft, die eigentliche Sucht und den Drang aus eingener Erfahrung, die jene Schreiber zum Dichten be-wegt. Obwohl sicher nicht alle «Volksstimme»-Värsli jedem Geschmack und Empfinden der Leserschaft entsprechen. Passend dazu ist in den Kürzest-Geschichten von Wiesner Folgendes zu lesen.
Zur Lage
«Die Schriftsteller erklärten sich mit den laufenden Honoraransätzen nicht mehr zufrieden und beschlossen in der letzten Vollversammlung, die Zeitungen auf unbestimmte Dauer zu bestreiken und ihnen weder Gedichte, noch Kurzgeschichten, noch Feuilletons oder Fortsetzungsromane anzubieten. — Durch die Redaktionsstuben ging ein grosses Aufatmen.»
«Die Menschen. Die Dinge.» Lesebuchgeschichten. Lenos Verlag Basel, 2000. Gebunden, 130 Seiten. 26 Franken.
Volksstimme Nr. 109 / 2000