Jürg Lehmann
BaZ-Blattmacher und ehemaliger Chefredaktor des «Blick»
Ein Blattmacher, aber kein Plattmacher. BaZ-Blattmacher und Ex-«Blick»-Chefredaktor Jürg Lehmann im «Volksstimme»-Nachtcafé
Jürg Lehmann sprach im Nachtcafé Klartext: «Ich habe viele kleine Fehler gemacht, jeden Tag, habe Leute verletzt.» Jürg Lehmann hat als Chefredaktor den «Blick» geprägt, indem er ihn politischer werden liess. Mittlerweile ist Lehmann Blattmacher bei der «Basler Zeitung». Im «Volksstimme»-Nachtcafé erzählte er unter anderem, was an der neuen BaZ noch besser werden könnte.
«Der ‹Blick› ist eine Sucht.»
gr. Klare Worte vom ehemaligen Chefredaktor Jürg Lehmann gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber. 1999 bis 2003 hatte er den Chefsessel inne. Beim «Blick» habe man als Chefredaktor grosse Freiheiten: «Ich wollte vor allem eine klare politische Linie fahren», sagte Lehmann im «Volksstimme»-Nachtcafé. Als links («Ich bin nun mal kein Freund der SVP.») wurde ihm diese oft ausgelegt. Doch Lehmann sieht das anders, er mag die Schublade «links» nicht: «Ich sah das vielmehr als soziales Gerechtigkeitsgefühl an.»
Zudem sei ihm viel daran gelegen, Politik nicht nur als Prozess darzustellen. Lehmann suchte andere journalistische Ansätze, etwa Ruth Metzler im Jahre 1999 einen Brief an die Schweizer und Albaner schreiben zu lassen, den der «Blick» abdruckte. Oft zeigten derartige Aktionen Erfolg, etwa bei Volksabstimmungen: «Der ‹Blick› ist ein politischer Faktor, das müssen Sie wissen», sagte Lehmann.
Die Message an die Leserin, den Leser zu bringen, das war neben der politischen Artikulation eine weitere Herausforderung: «Der ‹Blick› ist eine Zeitung, die mehrheitlich am Kiosk verkauft wird. Das bedingt, dass er den anderen Zeitungen stets einen Schritt voraus sein muss.»
Eine Geschichte auspressen
Dazu gehört auch der typische Kampagnen-Journalismus: «Wir versuchen herauszufinden, was den Leuten unter den Nägeln brennt. Die Geschichte zerlegen wir dann in Einzelteile und bringen jeden Tag ein Kapitel», sagte Lehmann. Zwar dürfe man eine Geschichte «wie eine Zitrone» bis zum letzten Tropfen auspressen, aber keinesfalls darüber hinausgehen. Womit Lehmann auch Vorwürfen entgegenhielt, der «Blick» gehe zu weit, schreibe Unwahrheiten.
Was er als seinen grössten Fehler erachte, wollte «Volksstimme»-Chefredaktor Rolf Wirz von Jürg Lehmann wissen. «Ich habe viele kleine Fehler gemacht, jeden Tag, habe Leute verletzt», gab Lehmann unumwunden zu.
Erst mit etwas Nachhaken kam der Fall Borer aufs Tapet: «Im Nachhinein war es falsch, was wir damals gemacht haben», sagte Lehmann, «doch waren wir überzeugt, dass Borer nicht Schweizer Botschafter sein dürfe.» Womit Lehmann nicht gerechnet hatte, war, dass der damalige Aussenminister Joseph Deiss Borer so schnell absetzen würde. Die Konsequenzen sind bekannt: der Ringier-Verlag entschuldigte sich bei Borer und zahlte ihm eine unbekannte Geldsumme aus.
Lehmann räumte kurze Zeit später seinen Platz und wurde – für viele unerwartet – Sportchef beim «Blick» und beim «Sonntagsblick»: «Ich wurde nicht gebeten, zu gehen. Es war meine Entscheidung, ich hätte so nicht mehr weiterarbeiten können. Es war nicht mehr das Gleiche», kommentierte Lehmann seinen Rückzug.
BaZ soll mehr Dampf machen
Seit einem guten halben Jahr ist Jürg Lehmann nun einer von drei Blattmachern bei der «Basler Zeitung»: «Blattmacher mit B, nicht mit P.» Der Blattmacher sei eine Art operativer Chefredaktor: «Was kommt auf die Frontseite? Wie soll diese aussehen? Wie gehen wir ein Thema an?», so umriss Lehmann seine Arbeit bei der «Basler Zeitung».
Hat ihn der Posten des Chefredaktors nicht gereizt? «Ich bin nicht unfroh, dass ich mich nicht mit der Basler Gesellschaft herumschlagen muss. Ivo Bachmann als unser Aussenminister macht das ganz gut», antwortete Lehmann.
Den Boulevard-Mantel hat Lehmann sozusagen an der Garderobe abgegeben. Dennoch wünsche er sich, dass die BaZ noch mehr Dampf mache, dass sie mehr insistiere. Allerdings funktioniere die BaZ mit ihren starken Ressorts ganz anders. Im Endeffekt gehe es aber auch darum, die Zeitung zu verkaufen.
Wozu auch der Anfang September durchgeführte Relaunch der BaZ beitragen soll. Und zu harscher Kritik geführt hat: «Ich war überrascht, dass viele Leser so aggressiv reagiert haben, nachdem das alte Konzept vielen nicht mehr gefallen hat.» Lehmann jedenfalls sieht im neuen Konzept die vielleicht letzte ökonomische Chance, dass die BaZ nicht von einem auswärtigen Verleger gekauft werden muss.
Zudem sieht Lehmann viele Vorteile an der neuen BaZ: «Wir gehen bewusster mit dem Stoff um, versuchen, ihn besser zu präsentieren, arbeiten mehr am Inhalt.» Dass es dabei noch Potenzial für Verbesserungen gebe, bestritt Lehmann keinesfalls.
Und um diesem Prozess beizuwohnen, sind Arbeitstage von zwölf Stunden und mehr keine Seltenheit: «Ich muss von A bis Z dabei sein, möchte am Schluss das gedruckte Blatt, das Resultat, in den Händen halten. Jeden Tag.» Dass dabei das Privatleben auf der Strecke bleibt, nimmt Lehmann in Kauf. Seine Frau ist mit dem Metier bestens vertraut: «Sie ist Fotografin für eine Tageszeitung. Wir haben gegenseitiges Verständnis für unsere Sucht.»
Volksstimme Nr. 122 / 2004