Nachtcafé vom 20.05.2022 |
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Ich bin ein Psycho
Sissach | Die Geständnisse des Fernsehmoderators Kurt Aeschbacher im «Volksstimme»-Nachtcafé
Mehr als 5000 Interviews hat Kurt Aeschbacher während seiner Karriere beim SRF geführt. Am Freitag stellte sich der Fernsehmoderator im «Nachtcafé» von «SissachLive» und der «Volksstimme» den Fragen von Anita Crain und erzählte Überraschendes.
Wer einen Menschen zum Interview bittet, dessen Beruf es ist, seinerseits Gespräche zu führen, geht das Risiko ein, dass es plötzlich der Talkgast ist, der die Fragen stellt. Aber Kurt Aeschbacher war im «Volksstimme»-Nachtcafé im Talk mit Anita Crain von «SissachLive» äusserst diszipliniert. Der Fernseh-Talker liess sich nicht dazu hinreissen, die Gesprächsführung zu übernehmen, sondern beantwortete die Fragen ausführlich und erfrischend offen.
Gerne und zur Unterhaltung des Publikums in der voll besetzten «Oberen Fabrik» holte Aeschbacher dabei weit aus und oft würzte er seine Erzählungen mit Appellen, Lebensweisheiten und Selbstironie. Letzteres, als er gestand, dass ihm noch immer ein Rätsel sei, wie er am Anfang seines Volkswirtschaftsstudiums die Statistik-Prüfung geschafft hat. Auch die Episode vom Restaurant, das «dank» des falschen Konzepts, des falschen Orts, der falschen Menschen und der falschen Zeit floppte und ihn seine ganzen Ersparnisse kostete, beschrieb er mit einem Augenzwinkern: «Es war wie bei ‹Eile mit Weile›: zurück auf Feld eins.» Er habe Lehrgeld bezahlt, sagte Aeschbacher, doch sei er «unverbesserlich» und gründe bis heute laufend weitere Firmen. Mit manchen Investments verliere er Geld, mit einigen nicht. Er wolle mit seinem Engagement nicht «der Reichste auf dem Friedhof werden», sondern etwas bewegen und Menschen mit innovativen Ideen Mut machen.
Von Versagensängsten geplagt
Verdient hat Aeschbacher den grössten Teil seines Geldes beim Schweizer Fernsehen. Während vier Jahrzehnten moderierte er die Sendungen «Karussell», «grell-pastell», «Casa Nostra» und «Aeschbacher». Seine Zeit beim SRF bezeichnete der «Nachtcafé»-Gast augenzwinkernd als «bezahlte Therapie»: Er sei von Natur aus scheu und während seiner gesamten Karriere von Versagensängsten geplagt gewesen; «ich bin ein Psycho».
Für seine Sendungen habe er häufig «egoistisch» Themen ausgewählt und Gesprächspartnerinnen und -partner eingeladen, von denen er sich persönliche Erkenntnisse oder ein Weiterkommen versprach. Als Beispiel nannte er eine Folge von «grell-pastell», in welcher «Höhe» thematisiert wurde. Der Moderator zwang sich selber, als Auftakt zur Sendung aus acht Metern Höhe in ein Sprungtuch der Feuerwehr zu springen. Bis dahin hatte er unter Höhenangst gelitten und sich nicht einmal aufs 1-Meter-Sprungbrett getraut. In den unterschiedlichen Formaten hat der 74-Jährige, der sich Ende 2018 von der Mattscheibe verabschiedete, um die 5000 Interviews geführt. Etliche dieser Begegnungen hätten ihn berührt. Eine griff er im «Nachtcafé» heraus: mit einem Bauern, Mitte 30, Familie. Bei einem Unfall mit einer Landmaschine wurden dem Mann beide Arme abgerissen. Er habe nie ans Aufgeben gedacht, sondern seine Kühe weggegeben und den Betrieb umgestellt, um ihn trotz der Behinderung weiterhin bewirtschaften zu können. Dieser «unglaubliche Optimismus» habe ihn beeindruckt, sagte Aeschbacher. Für Konfrontationen mit Schicksalen wie diesem sei er dankbar, sagte der Moderator und Journalist. Darin spiegle er sich.
Dass Aeschbacher beim Fernsehen landete und nicht in einem Finanzverwaltungsbüro, wie es sein Vater gerne gesehen hätte, verdankte er der «Grün 80». Als 27-Jähriger habe er sich auf die Stelle als für Marketing, Kommunikation und Mittelbeschaffung verantwortlicher Vizedirektor der Landesgartenschau beworben, erzählte «Aeschbi». Die Ausstellung lief wegen Regens schlecht an. Um die Menschen in die «Grün 80» zu locken, habe man die Queen, die der Schweiz einen Staatsbesuch abstattete, als Ehrengast eingeladen – «mit einem ganz normalen Brief an den Buckingham Palace ». Die Queen sagte zu, die «Grün 80» kam auf Touren. Dem Vizedirektor fiel die Rolle zu, mit Prinz Philipp, der von den Gärten wenig erbaut war, ein Spezialprogramm zu absolvieren. «Noch von niemandem habe ich so viele ‹gruusige› Witze gehört, wie von Prinz Philipp», plauderte der Talk-Gast aus.
Vom Elternhaus geprägt
Aus den Kontakten mit Medienschaffenden an der «Grün 80» ergab sich die Anfrage an Aeschbacher, ob er fürs Fernsehen arbeiten wolle. «Mein Vater hat sich zunächst furchtbar darüber aufgeregt», erzählte der Moderator, «als ob ich nun Striptänzerin würde». Das Verhältnis zum Vater, einem engagierten Sozialdemokraten, und zur Mutter, einer «klassischen Hausfrau», war eng. Sein Vater, der sich immer stark für Menschen engagiert hatte, denen es nicht gut geht, und auch die vielen offenen Gespräche am Küchentisch der Familie in Bern hätten ihn geprägt. Heute engagiert sich Kurt Aeschbacher als Unicef-Botschafter ebenfalls für Schwächere. In dieser Funktion sammelt er an «Cüpli-Anlässen» Spenden – «manchmal lässt eine Person diskret auf einen ‹Chlapf› einen Millionenbetrag springen» – und besucht und überprüft Projekte vor Ort.
Vom Bildschirm ist Aeschbacher seit der Absetzung seiner Talkshow im Jahr 2018 verschwunden. Nicht aber von der Bildfläche. Er gibt das Magazin «50plus» heraus, zudem begleitet und unterstützt er nach wie vor Start-ups. Auch ist er ein begeisterter Klassik-Fan und sammelt Kunst, die er nicht verstehe: «Was ich verstehe, kann ich mir im Museum anschauen, was ich nicht verstehe, hänge ich zu Hause auf, um die Zeit zu haben, es zu verstehen.» Die Kunst lehre ihn, die Welt anders zu sehen. So, wie all die Menschen, die ihm von sich und ihrer Welt erzählt haben.
Christian Horisberger