Nachtcafé vom 30.10.2009   Liste aller Gäste       

Jrma und David Schoenauer
Varieté-Macher 

Jrma und David Schoenauer «Wir erfinden uns jedes Jahr neu»
Das ultimative Amüsement erwartete die Besucher in Jrma und David Schoenauers Broadway-Variété. Köstlich amüsiert haben sich die Besucher im Nachtcafé, wo die Oberhäupter der Principalenfamilie über beissfreudige Vampire und ihre Tingeltangel-Bude redeten.

hes. Angesagt war im Nachtcafé David Schoenauer, Platz nahm er mit seiner Frau Jrma . Sie setzten sich auch nicht auf die Barhocker, sondern machten es sich in Fauteuils bequem, die in der «Bar Etage» spontan im Kreis aufgestellt wurden. Auf Augenhöhe mit dem Publikum. Die Schoenauers zum «Beissen» nahe.
David und Jrma begrüssten die 20 Besucher und Besucherinnen einzeln mit Handschlag. Fürchteten sich die Leute am Mittwoch vor den Zähnen der Blutsauger oder hatten sie ihre Augen nach Lettland gerichtet, wo sich die Schweiz nach Südafrika kicken wollte? «Die intime Kulisse gefällt mir. Uns ist auch ein kleines Publikum willkommen», begrüsste David Schoenauer die Gäste.
Im aktuellen abend- und bauchfüllenden Programm, das gestern Abend in Basel Premiere hatte, dreht sich alles um Vampire. «Wie viel Blut wird pro Abend fliessen?», wollte «Volksstimme»-Verlagsleiter Robert Bösiger wissen. «Wenig, denn beissen darf nur ich», sagte David augenzwinkernd.
Auch sonst wurde es in der Oberen Fabrik nicht blutrünstig. Zwar redeten Jrma und David über Blutsauger und den klapprigen Graf D., dem die Zähne gerne im falschen Hals stecken bleiben. Sie redeten aber auch über Genuss-Wesen und begnadete Körper, über eine formvollendete Jungfrau und sinnlich erotische «Damen». Vor allen Dingen redeten sie aber darüber, wie alles begonnen hatte. «Am Anfang war der Tango», sagte David.
Die Schoenauer-Liaison, sprich die Broadway-Geschichte, begann mit eben diesem Tanz – an einem rauschenden Fest in Basels Altstadt. Der Blick Jrmas richtet sich auf ein Glas Wein und einen feuerschluckenden Artisten, der sie mit ebenso feurigem Blick aufs Parkett bittet, um einen Tango zu tanzen. «Auch Sie könnten dieser Bitte nicht widerstehen», sagte sie und lachte. Genussvoll erinnert sie sich an die Begegnung auf der Tanzfläche: «David tanzte sehr gut.» Die Begeisterung lag auf beiden Seiten und so kam es, dass sich die Damenschneiderin aus Dornach und der Schriftsetzer aus Basel nicht nur zum Tanzen trafen. Jrma avancierte zu Davids Assistentin und wenn sie nicht auf der Bühne stand, dann an der Kasse.
Tagsüber im Atelier wurden Jrmas Augenlider immer schwerer und so beschlossen sie, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Jrma tauschte ihren Mazda gegen einen alten Volvo samt Campingwagen. Mit Kostüm und Peitsche wandelten sich die Damenschneiderin und der Schriftsetzer zu einer sinnlich bauchtanzenden Schlangendompteuse und einem waghalsig Feuer speienden Kragenbärenbändiger, die auf Campingplätzen erfolgreich das Tessiner Touristenvolk erschreckten.
Nach Jahren des Tingeltangels mit eigenem Freiluft-Variété, der Zeit «wo wir oft fast verhungerten», konnten sie von Jackie Steel die alte legendäre Broadway-Schaubude als gnadenloses Alteisen übernehmen. «Für 25?000 Franken bar auf die Hand.» Das Theater war schrottreif, aber spielbereit. «Seit diesem Datum sind wir die Principalen.
Am Anfang waren wir noch einige Jahre an der Herbstmesse in der Halle sechs am Riehenring – bis wirklich nichts mehr ging. Seit 18 Jahren ist das Broadway ein ambulantes Spiel- und Verzehrtheater. Mit 24 Mitarbeitenden und Künstlern, 50 Anhängern, sieben schweren Zugmaschinen – alles Oldtimer übrigens – zwei Bussen und vier Jeeps. Wir sind eine KMU, eine Kleinstadt auf Rädern.»
David und Jrma haben den Klamauk zum Kult gemacht. Wie aber stellt man alle Jahre ein solches Programm auf die Beine? «Alle aus der Principalenfamilie tragen etwas dazu bei», lassen David und Jrma die Suppe kochen. Vielmehr einen guten Sud. Alle Ideen kommen in die Pfanne. Gekocht wird ein Programm nach dem Broadway-Gusto. «Wir erfinden uns alle Jahre wieder neu», antwortet David. «Bei uns treten Topstars der internationalen Artistenwelt auf, aber auch Newcomer», sagte Jrma. «Frei nach dem Motto ‹Körperkunst begegnet Kopfkunst›», ergänzte David.
Das Broadway sei ein Biotop und eine Plattform für skurill-selbstironische, seltsame Komödianten und Köche. Das Spektrum reiche vom schmerzlich verliebten Berufsmelancholiker bis zum lebend geborenen Elektromagneten. «Wir haben kein Zielpublikum», meinte David. Das Publikum habe sich ergeben. «Setzt sich aber aus zwei Dritteln Stammgästen zusammen», relativierte Jrma. Das Publikum bestehe aus genussvollen, leidenschaftlichen, ironischen Menschen. Manchmal müsste man sagen, es sind Masochisten, weil man bei uns sehr eng sitzt», sagte David und lachte.
Gehen sich David und Jrma nicht auf den Wecker, wenn man so eng wohnt und zusammen arbeitet? «Natürlich. Das gehört dazu. ‹Wenns chlöpft, denn chlöpts.› Das muss sein.» Doch das sei auf den Beruf bezogen. «Ich habe dich so lieb, wenn du mir nicht auf den Wecker gehst», neckte Jrma – begleitet von einem verliebten Blick. David: «Individuelle Seelen wollen gepflegt sein und auch verstanden werden. Bei uns funktionierts!»
Wie lösen die Schoenauers das Nachfolgeproblem? «Wir denken nicht was in zehn Jahren ist. Das Heute ist massgebend.» David will sich nicht zwingend mit der Zukunft befassen. «Es wird sich schon ein Wahnsinniger finden, der das Theater weiterführt.» Bis dann will die Principalenfamilie die Streicheleinheiten, die jeder Mensch braucht und die sie allabendlich für ihre Leistungen bekommen, geniessen. Variété sei jeden Abend eine neue Herausforderung. Der leichte Tingeltangel sowieso. «Trois fois merde!»

Volksstimme Nr. 107 / 2009