Vetters Hot Seven
Jazz aus dem Oberbaselbiet
Die Musik stand über der Dorfrivalität
Jazz aus dem Oberbaselbiet: Bandmitglied und Talkgast Martin Rickenbacher
sprach über schwarze Köpfe, die persische Kaiserin und die revolutionäre
Verbrüderung zwischen Sissachern und Gelterkindern.
Musik verbindet – das war in der Oberen Fabrik spürbar, als die gestandenen Musiker der Jazzband Vetters Hot Seven ihr zahlreich erschienenes Publikum mit anspruchsvollen Gitarrenriffs und Saxofonsoli in ihren Bann zogen. Auf den Tag genau vor sechzig Jahren überwand das gemeinsame Interesse an der Musik gar die Dorfgrenzen zweier rivalisierender Gemeinden. Sissacher und Gelterkinder taten sich zusammen, um gemeinsam zu musizieren. Das war zur damaligen Zeit ungefähr so revolutionär wie «das Zusammenkommen von Schwarzen und Weissen in Amerika», wie Talkgast und Bandmitglied Martin Rickenbacher sagte. Die Sissacher brachten den Rhythmus, die Nachbarn die Melodie: so entstand die Jazzband Vetters Hot Seven. Rickenbacher, selbst ein begnadeter Saxofonist, konnte an diesem Abend aufgrund einer Verletzung am Arm, die er sich bei einem Sturz zugezogen hatte, nicht mitspielen. «Dafür konnte ich beim Unfall eine Flasche Kirsch retten.»
Angefangen hat die Geschichte der ältesten Baselbieter Jazzband im Jahr 1955 mit ihrem ersten Auftritt im Gelterkinder Gasthaus Rössli. Die Band praktizierte den New-Orleans-Jazz und an Anlehnung der Begründer des Genres malten sie sich die Köpfe schwarz an. «Die ‹Vetters› waren grosse Anhänger dieser Jazzrichtung», sagte Rickenbacher. Auch ihr Bandname entstand durch die Sympathie mit einem ganz Grossen der damaligen Musiklandschaft. «Louis Armstrong trat Mitte der Zwanziger mit einer Band auf, die als seine ‹Hot Five› bekannt wurde.» Vetter war das älteste Gründungsmitglied und daher als Namensgeber gesetzt. Nun wurden lediglich Armstrongs «Hot Five» an die Mitgliederzahl der Oberbaselbieter angepasst. Der Name sei aber keine Hommage an den bekannten Jazzmusiker gewesen, sondern vielmehr ein Zeichen dafür, dass die «Vetters» «heisse Musik machen wollten, die abgeht».
Gleich zu Beginn ihrer Karriere erreichten die «Vetters» laut Rickenbacher den Höhepunkt ihres Schaffens: «Die Teilnahme an den nationalen Jazzfestivals, unter anderem in Zürich, in den späten 50er- und 60er-Jahren waren grosse Erfolge für die Band.» Im gleichen Atemzug nannte der Saxofonist auch den Auftritt am Sissacher Dorffest und das Kellertheater Sesam, das Mitte der Sechzigerjahre gegründet wurde und wo sich die «Vetters» gleich als Hausband etablierten.
Liebhaber des Jazz
Im Baselbiet haben die «Vetters Hot Seven» zweifellos ihre Spuren hinterlassen, über die Kantonsgrenzen hinaus ist ihre Bekanntheit jedoch eher bescheiden. Für Rickenbacher keinesfalls wegen mangelnden Talents, sondern weil die Musiker trotz allem immer eine Amateurband blieben. «In diesem Wort steckt Amore, der italienische Begriff für Liebhaber. Und genau das sind die ‹Vetters›, Liebhaber des Jazz.» Aus dem Hobby Profit zu schlagen, war für die Oberbaselbieter nie zentral. In all den Jahren haben sie nur eine einzige Platte herausgebracht. Diese ist aber etwas ganz Besonderes: die erste Baselbieter Jazzplatte. Gerade mal fünf Exemplare wurden Ende der Fünfzigerjahre gepresst, zu einem stolzen Preis von sechzig Franken wurden sie verkauft. Allerdings sind laut Rickenbacher nur noch drei davon auffindbar.
In ihrer langjährigen Bandgeschichte hatten die Jazzmusiker einiges erlebt. Entsprechend hatte Rickenbacher ein paar Anekdoten mit im Gepäck. Eine davon handelte von der persischen Kaiserin Soraya und einem verärgerten Vetter auf dem Weg nach St. Moritz. «Die Band war über Weihnachten und Neujahr von Kurt Handschin, dem Besitzer des Hotels Monopol, gebucht worden», erzählte Rickenbacher. «Alle hatten den Zug Richtung Graubünden erwischt, nur Vetter kam zu spät.» Verärgert hatte Vetter daraufhin den nächsten Zug genommen und am Churer Bahnhof eine sonderbare Entdeckung gemacht. «Er sah eine elegant gekleidete Dame, die für ihn wie die Kaiserin Soraya aus Persien aussah», sagte Rickenbacher. Nachdem er gemeinsam mit ihr im Zug nach St. Moritz gefahren und sie am Bahnsteig von einer Limousine abgeholt worden war, hatte Vetter Gewissheit: es war tatsächlich besagte Kaiserin gewesen. «Seine Bandkollegen haben ihm das anschliessend ewig nachgetragen», erzählte Rickenbacher.
Obwohl die Jazzmusiker im Baselbiet beinahe schon Rockstarstatus genossen, waren Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll kein Thema, wie Rickenbacher versichert. «Aber immer, wenn eine Frau im Proberaum auftauchte, war die Stimmung erheblich besser», sagte er und schmunzelte.
Wie lange die einzigartige Geschichte der «Vetters Hot Seven» noch weitergeht, sei schwer abzuschätzen. «Mir wei luege», so Rickenbacher. Die Gründungsmitglieder sind bereits alle verstorben, in den folgenden Jahren kamen und gingen mehrere Musiker. Der Spass sei nach wie vor da, versicherte Rickenbacher, der als Fan bereits 1970 auf die Jazzband aufmerksam wurde. Und dass Ausdauer nichts mit dem Alter zu tun hat, bewiesen die Herren im anschliessenden Konzert, indem sie die Obere Fabrik erneut zum Tanzen brachten.