Nachtcafé vom 23.09.2021 |
Liste aller Gäste
![]() ![]() |
Drei Kilogramm Krawatten für Mr. Corona
Vom unbekannten Bundesbeamten wurde Daniel Koch quasi über Nacht zum Schweizer Mr. Corona.
Die sachliche Art, wie er über die Entwicklung der Corona-Pandemie informierte, trugen ihm Vertrauen und 3 Kilo Krawatten ein. Am Donnerstag war er zu Gast im «Volksstimme»-«Nachtcafé» von «SissachLive».
ch. «Ich stehe für eine Krankheit, die keiner wollte.» So brachte Daniel Koch am Donnerstag im «Nachtcafé» von «SissachLive» das Bild, das die Öffentlichkeit während Corona von ihm gewonnen hat, auf den Punkt. Dabei ist die Pandemie, die den BAG-Beamten und Arzt vor gut anderthalb Jahren zu einem der bekanntesten Gesichter des Landes gemacht hatte, nur ein winziger Teil seiner bewegten Karriere.
Koch, der mit sechs Jahren seine Eltern – der Vater war Arzt, die Mutter Krankenschwester – verloren hatte, studierte Medizin. Er arbeitete zunächst in Kriegsgebieten, später in Genf fürs Internationale Rote Kreuz (IKRK). 2002 heuerte der heute 66-Jährige beim Bundesamt für Gesundheit an, wo er zuletzt die Abteilung für übertragbare Krankheiten leitete. In dieser Funktion trat er ab Beginn der Coronakrise – das war kurz vor seiner Pensionierung – regelmässig an den Pressekonferenzen des Bundesrats auf.
Leguan als Haustier für Kinder
Die neue Rolle des Prominenten sei für ihn gewöhnungsbedürftig gewesen, sagte Koch am Donnerstag im «Nachtcafé»: «Plötzlich wurde ich auf der Strasse gegrüsst und Menschen bedankten sich bei mir.» Die Maskenpflicht sei ihm da gar nicht so ungelegen gekommen. «So konnte ich wieder Corona-Bier ins Einkaufswägeli legen», scherzte Koch und bekundete Mitleid mit Prominenten wie Roger Federer, für den es «schrecklich» sein müsse, keinen Schritt tun zu können, ohne erkannt zu werden. Der Talk-Gast erwies sich im Gespräch mit Moderatorin Anita Crain als offener, überlegter und humorvoller Gesprächspartner mit einem guten Schuss Selbstironie. So gestand der Hundeliebhaber, dass er sich einen dritten Hund angeschafft habe, damit dieser den zweiten erzieht, worin er selber versagt habe.
Auch bei der Auswahl des ersten Haustiers für seine Kinder habe er kein glückliches Händchen bewiesen, erzählte Koch. Er war mit seiner Familie in Lateinamerika stationiert und fand, Leguane seien schöne Tiere. Also habe er auf einem Lebensmittelmarkt (!) einen für seine Töchter gekauft. Schon bald sei das Reptil aber auf den einzigen Baum im Garten geflüchtet und habe dort tagelang ausgeharrt. Aus Angst, der Leguan würde austrocknen, habe er das Tier eingefangen und es in den Wald getragen, um ihm die Freiheit zu schenken. «Ich weiss aber nicht, ob er überlebt hat. Das halbe Dorf war mir gefolgt.» Das nächste Haustier war ein Hund. Dabei blieb es.
Während 14 Jahren war Koch mit seiner Familie fürs Rote Kreuz unterwegs, stets in Krisengebieten, nie länger als zwei Jahre an einem Ort. Auf die Frage, ob er nicht um die Sicherheit seiner Familie fürchtete, versicherte Koch: «Ich bin kein Adrenalin-Junkie.» Die Städte, in denen die IKRK-Mitarbeiter lebten, seien sicher gewesen und in den Kriegsgebieten sei es zu 99 Prozent der Zeit ruhig geblieben. «Dynamische» Situationen waren die Ausnahme – aber es gab sie und sie haben Narben hinterlassen: «Wir haben alle unseren Rucksack. So vergisst man es nie, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter ums Leben kommt.» Namentlich nannte Koch die Sissacher Krankenschwester und IKRK-Mitarbeiterin Susanne Buser, die 1993 in Sierra Leone bei einem Überfall auf einen Hilfskonvoi getötet wurde.
Freilich gab es auch manch schöne, berührende Momente: Etwa, als er ein Mädchen, dem das IKRK eine teure Operation ermöglicht hatte, zurück zu dessen Familie bringen durfte.
Mit dem Virus leben lernen
Die Hoffnungen, das Covid-19-Virus könne besiegt werden wie die Pocken, die Masern oder die Kinderlähmung, zerstörte Daniel Koch: «Wir werden mit dem Virus leben müssen.» Das wahrscheinlichste Szenario sei, dass es trotz einer Grundimmunisierung weiter zirkulieren werde und sich vor allem Kinder, aber auch Geimpfte immer wieder damit anstecken und es verbreiten würden. Dabei werde die Immunität immer wieder erneuert. Dieser Status werde voraussichtlich im nächsten Sommer erreicht, schätzt Koch. «Der Winter wird noch einmal hart», wie hart, hänge davon ab, wie viele Erwachsene sich impfen liessen.
Ein Zuhörer sprach Koch auf schwere Nebenwirkungen an und die laufende Debatte über die Notwendigkeit einer dritten Impfdosis. Die Wissenschaft habe hier nicht gut genug hingeschaut. Dem stimmte Koch bedingt zu: Das Monitoring der Wirksamkeit sei kurz ausgefallen. Hingegen sei das Monitoring der Nebenwirkungen gut, und es seien nur wenige solche entdeckt worden. Erwiesen sei: Die Impfstoffe schützen gut vor schweren Krankheitsverläufen, Ansteckungen seien möglich, doch durch die Grundimmunisierung sei das Risiko für eine schwere Erkrankung gering. Eine dritte Dosis sei allenfalls für Hochrisikopatienten sinnvoll. «Generell geht man nicht davon aus, dass eine dritte Impfung angezeigt ist.» Und wenn der CEO des Impfstoff-Herstellers Moderna sage, dass er eine dritte Impfung befürworte, könne er das nur zu gut verstehen, so Koch: «Ich an seiner Stelle würde dasselbe sagen.» Gelächter in der Oberen Fabrik.
Altersheime alleine gelassen
Moderatorin Anita Crain wollte vom Gast wissen, was der Bund bei der Bewältigung der Krise rückblickend anders – besser – hätte machen können. «Vieles», antwortete Koch nach reiflichem Überlegen. Zwar habe die Schweiz anders als viele Länder keine generellen Ausgangssperren verhängt. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Alters- und Pflegeheime seien jedoch stark isoliert worden. Hier habe der Bund den Kantonen keine klaren Vorgaben gemacht, sondern nur vage Empfehlungen abgegeben. Manche hätten «völlig überschossen» und es sei viel Leid entstanden. «Dort müsste man aus heutiger Sicht mehr Hilfe leisten.» Er persönlich würde versuchen, noch ruhiger zu sein. Vertrauen schaffe man, indem man positiv vermittelt, was anzugehen ist – «hier hätten wir mehr tun können».
Hier war Koch etwas gar streng mit sich selber. Mit seiner ruhigen, überzeugenden Art gewann er viel Vertrauen in der Bevölkerung, manche Menschen wollten ihm für seine Arbeit etwas zurückgeben. Aufgrund seiner sehr schlanken Statur – Koch ist leidenschaftlicher Läufer – schienen manche Fernsehzuschauer um seine Gesundheit zu fürchten und schickten ihm «Fresspäckli». Andere, denen auffiel, dass Koch bei jedem seiner Auftritte eine andere Krawatte trug, schickten ihm ein weiteres Exemplar. Gezählt hat Mr. Corona die geschenkten Krawatten nicht. Aber gewogen. Es seien gegen 3 Kilogramm.