Michael Schindhelm
Theaterdirektor in Basel
Der Basler Theaterdirektor Michael Schindhelm zu Gast im «Volksstimme»-Nachtcafé: «Das Theater ist prinzipiell immer in der Krise»
Der eloquente Basler Theaterdirektor Michael Schindhelm war am vergangenen Donnerstag zu Gast im «Volksstimme»-Nachtcafé. Dabei sprach er unter anderem über seine Rolle im Zusammenhang mit der Stasi. Und auch darüber, wie ein Quantenchemiker ans Theater kommt.
gr. «Ich bin offenbar für Krisensituationen prädestiniert», antwortete der Basler Theaterdirektor Michael Schindhelm auf die Frage von «Volksstimme»-Chefredaktor Rolf Wirz, wie er zum Theater Basel gekommen ist. Tatsächlich herrschte damals dicke Luft auf der grossen Bühne am Rheinknie: Der damalige Theaterdirektor stimmte einer Subventionenkürzung um 30 Prozent zu und wurde nach einem dreiviertel Jahr «in die Wüste geschickt».
Unter diesen nicht ganz einfachen Umständen sei er «natürlich gerne gekommen», sagte Schindhelm. «Erfrischende Gespräche» mit den Baslern hätten ihn schliesslich davon überzeugt, den Posten anzunehmen. Am Anfang habe er gar nicht so viel über Theater machen nachgedacht, sondern über die Situation mit Baselland und Basel-Stadt, die jeweiligen Besucheranteile und die Verteilung der Subventionen.
Intensive Gespräche mit der Kulturkommission des Landrates spülten in Folge wieder mehr Geld in die Theaterkassen. Vor fünf Jahren trat ausserdem der Kulturvertrag zwischen den beiden Basel in Kraft, doch Schindhelm muss heute immer noch mit etwa vier bis fünf Millionen weniger operieren als sein Vorgänger. Das Budget des Theaters belaufe sich auf 45 bis 50 Millionen, davon seien 90 Prozent Personalkosten.
Das Gespräch ging nicht nur auf die finanzielle Seite des Theaters Basel ein. Ausführlich berichtete Schindhelm über seine mehr oder weniger grosse Einflussnahme beim Erarbeiten einer Aufführung. Am spannendsten seien immer die letzten Proben vor der Premiere, da dort all die verschiedenen Stücke zu einem Ganzen zusammengefügt werden. «Theater ist ein chaotischer Prozess von Individualisten», fasste Schindhelm die Arbeitsweise zusammen.
Der krisenerprobte Ostdeutsche vertrat die These, dass sich Theater als Institution prinzipiell immer in der Krise befände. Man lasse sich auf Risiken ein, Sachen werden über den Haufen geworfen, es herrsche immer ein Chaos, das vom nächsten abgelöst werde.
Die Schere zwischen Kritik und Publikum klaffe immer weiter auseinander. Sich im Medienruhm zu sonnen, bringe nichts, wenn das Publikum fernbleibe. Ein weiterer potenzieller Krisenherd lokalisiert Schindhelm in der Tatsache, dass «die Institution Theater in einer anderen Gesellschaft etabliert worden ist, als in derjenigen, die wir heute haben.»
Richtungswechsel
Zur Theaterleitung ist der studierte Quantenchemiker wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Nachdem Schindhelm die Naturwissenschaften an den Nagel gehängt hatte, verdingte er sich als freier Autor und Übersetzer. Ambitionen für Kunst habe er durchaus gehabt. Im Jahr 1989 wurde er an einem Theater in Nordhausen freier Mitarbeiter. Nach dem Mauerfall im gleichen Jahr wurde er zusammen mit einem Partner als Leiter gewählt.
Schindhelm äusserte sich auch zu Christoph Marthaler. Überall in Europa hätte man Marthaler als guten Regisseur gekannt, nur in Zürich nicht, so Schindhelm. Umso mehr habe der damalige Verwaltungsrat «wie eine Gruppe Marthaler-Figuren» ausgesehen, nachdem er zum ersten Mal ein Stück von ihm gesehen habe. Notabene erst, nachdem Marthaler schon angestellt worden war. Natürlich hätten die Zürcher auch ihn angerufen, Schindhelm lehnte jedoch ab: «Ich würde nie nach Zürich gehen.»
Auch für grosses Aufsehen sorgte Schindhelm vor rund zwei Jahren, als plötzlich Vorwürfe gegen ihn laut wurden, die ihn der Mitarbeit bei der Stasi bezichtigten. In Tat und Wahrheit habe er während seiner Studienzeit immer wieder Kontakte zu Forschern, Diplomaten und anderen Personen aus dem Westen gehabt — allerdings verbotenerweise. Dadurch seien ihm Kontakte mit westlichen Geheimdiensten unterstellt worden und er sei deswegen einvernommen und überwacht worden. Für die Stasi gearbeitet habe er aber definitiv nie.
Volksstimme Nr. 137 / 2002