Nachtcafé vom 25.11.2021   Liste aller Gäste       

Viola Amherd, Bundesrätin
«Ja super, natürlich» 

Viola Amherd, Bundesrätin

Von der Last des Amts war an diesem Abend wenig zu spüren: Bundesrätin Viola Amherd sorgte mit ihrem Auftritt im «Nachtcafé» in Sissach für gute Laune beim Publikum.

Sissach | Bundesrätin Viola Amherd war zu Gast im «Nachtcafé».

Was ist es wohl, was die offensichtliche Popularität von Viola Amherd ausmacht, gerade auch in politisch schwierigen bis hitzigen Zeiten?

Schwer zu sagen. Tatsache ist, dass das Publikum am Donnerstagabend in Sissach schon bei der Begrüssung nicht mehr mit dem Applaudieren aufhören wollte, noch bevor die 59-jährige Bundesrätin aus Brig auch nur ein einziges Wort gesagt hatte. Vielleicht ist es dieser Mix: bodenständig, uneitel, verbindlich, dossierfest, schon ziemlich landesmütterlich – und mit einem Humor ausgestattet, der zuweilen trockener ist als so mancher Oberwalliser Weisswein.

Amherd war Bundesratsmitglied Nummer vier, das seit Bestehen der «Nachtcafé»-Reihe zum Talk auf der Bühne in der Oberen Fabrik Platz nahm. «Was ist das für ein Gefühl, wenn man bei den Schweizerinnen und Schweizern so beliebt ist?», wollte Fragesteller Robert Bösiger wissen, als das grosse Begrüssungsklatschen dann doch noch aufgehört hatte. «Man nimmt das schon zur Kenntnis, das ist klar», sagte sie. Beliebtheitsrankings seien aber mit Vorsicht zu geniessen und man dürfe das nicht allzu ernst nehmen. Soweit die erwartbare Antwort einer Bundesrätin, doch dann schob sie verschmitzt nach: «Aber sicher ist es schöner, wenn man auf den ersten und nicht auf den letzten Plätzen liegt.» Lacher.

Lacher auch bei der Antwort auf diese Frage: «Stimmt es, dass Sie in der Schulzeit besonders brav, angepasst und fleissig waren?» Amherd trocken: «Genau.» Oder bei dieser Frage: «In Ihrem Departement arbeiten knapp 12 000 Angestellte. Was denken Sie, wie Sie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Chefin ankommen?» «Ja super, natürlich …»

Und auch dieses Bonmot auf die Frage, was man in ihrem Heimatkanton eigentlich gegen Luchse, Bartgeier und Wölfe habe, sorgte für Heiterkeit: «Gar nichts. Wir Walliser sind sehr tierliebend. Nur dummerweise ist da einmal ein Wolf vor einen Schneepflug gelaufen …»

Und dies alles in ihrem kernigen Oberwalliser Dialekt. Amherd unterliess es nicht, vom Wallis zu schwärmen, und wagte es kaum, die Frage nach ihrem Lieblingsgericht zu beantworten, da dies schon fast zu klischeehaft sei: «Natürlich Raclette.» Fleisch, sagte sie nebenbei, esse sie nicht.

Amherd startete ihre politische Karriere nach dem Jura-Studium in Fribourg einst daheim in Brig, wo sie noch als junge Frau in den Stadtrat gewählt wurde. Recht emotional
blickte sie auf das grosse Hochwasser von Brig zurück, als im Jahr 1993 die Saltina über die Ufer gegangen war und grosse Zerstörung anrichtete. Zwei Menschen mussten bei dieser Katastrophe ihr Leben lassen. Amherd befand sich damals in ihrer Kanzlei mitten in Brig und konnte diese wegen des Hochwassers nicht verlassen. Nach diesem Grossereignis habe sich ihre zuvor kritische Haltung zur Schweizer Armee verändert, so die CVP/«Die Mitte»-Politikerin. «Ohne Unterstützung des Militärs hätten wir es damals nicht geschafft, jemals wieder aus diesem Dreck herauszukommen. » Seither sei sie überzeugt davon, dass es die Armee brauche und sie sehe nun viel Positives. Was aber nicht bedeute, dass man nicht immer kritisch hinschauen müsse, was das Militär «so macht». Es gebe noch so manches, «das man verbessern kann». Hier sprach die Verteidigungsministerin.

Als Frau unter Männern

Die Armee ist nach wie vor eine Männerdomäne. Wie wurde die Chefin dort aufgenommen? «Sehr gut», sagte sie. Vielleicht seien bei den Männern gewisse Ängste vorhanden gewesen, doch man habe sich gegenseitig rasch kennen- und schätzen gelernt: «Ich fühle mich wohl und akzeptiert.»

Der Frauenanteil im Militär sei zwar verschwindend klein, doch sie tue in ihrem Departement viel für die Frauenförderung. Und wie steht sie zur Wehrpflicht auch für Frauen, was in der ganzen Gleichstellungsdebatte stets ein etwas blinder Fleck ist? «Ich bin nicht dafür, dass man jetzt das Armeeobligatorium für Frauen pusht», sagte sie, denn es gebe «noch genügend andere Baustellen in Bezug auf die Gleichberechtigung», zum Beispiel gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Dazu seien Frauen besonders häufig von Altersarmut betroffen. «Ich will aber nicht ausschliessen, dass wir in zweiter Priorität darüber nachdenken, im Rahmen von neuen Dienstmodellen auch Frauen in die Pflicht zu nehmen.» Indessen: «Wir hätten plötzlich doppelt so viele Dienstpflichtige wie jetzt. Für alle eine sinnvolle Aufgabe zu finden, wäre wohl nicht einfach.» Eher würde es auf das «Norweger Modell» hinauslaufen, das sie so skizzierte: Alle sind zwar dienstpflichtig, doch nur so viele werden eingezogen, wie es effektiv braucht. Die anderen leisten Ersatzzahlungen.

Apropos Frauen: Moderator Robert Bösiger, selber amtierender Gemeinderat von Sissach, schilderte, dass im Oberbaselbieter Bezirkshauptort sechs von sieben Mitgliedern im Gemeinderat Männer sind. Und kürzlich hat die einzige Frau ihren Rücktritt angekündigt. Was tun, Frau Amherd? «Es ist ganz einfach: Es gibt sicher eine Frau, die kandidieren will. Dann muss man halt einfach für sie stimmen.» Gelächter. Sie empfahl anschliessend, die Kandidatin überparteilich zu unterstützen, sobald diese gefunden ist.

Sitzungen im Halbstundentakt

Die Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) sprach über die hohe Belastung in ihrem Amt. Meist seien ihre Arbeitstage stark überfrachtet, manchmal habe sie «im Halbstundentakt eine Sitzung nach der anderen». Da sie nie unvorbereitet an Sitzungen gehe, arbeite sie immer auch abends daheim in ihrer Berner Wohnung. Nur am Wochenende verlasse sie die «Üsserschwiiz» und kehre heim ins Wallis. Am besten erhole sie sich an der frischen Luft: beim Spazieren, Wandern, Velo- und natürlich beim Skifahren. Tennis hingegen spiele sie nicht mehr, da sie dafür zu wenig Zeit finde.

Zum Thema Sport: Kommt die Sportministerin im kommenden Jahr an das Eidgenössische Schwingfest nach Pratteln? «Auf jeden Fall», sagte sie. Beim Kampfsport vertraue man im Wallis zwar eher auf Ehringerkühe, doch Schwingen interessiere sie zunehmend – wenngleich sie nicht allzu viel davon verstehe: «Immerhin weiss ich, dass einer der Schwünge ‹Weiberhaken› heisst …»

Bei einem anderen Sportthema wurde sie ernster: den Magglinger Protokollen. Sie sei «sehr schockiert» über das, was vorwiegend junge Sportlerinnen dort im Namen der Leistungsförderung über sich ergehen lassen mussten. «Ich bin nicht einverstanden damit, dass es nun kurz ein grosses Geschrei gibt und danach nichts mehr passiert. Wir haben ein Massnahmenpaket beschlossen, das nun sofort umgesetzt werden muss.» Applaus.

Der Wunsch fürs Jahr 2022

Und zum Schluss noch eine Frage aus dem Publikum: Was wären Ihre drei Wünsche ans Christkind, Frau Bundesrätin? «Ich habe nur einen grossen Wunsch: Dass diese Pandemie endlich aufhört und man nächstes Jahr wieder ganz normal leben, arbeiten, sorglos wieder an Anlässe gehen und gemütlich einen Apéro mit anderen Leuten nehmen kann, ohne sich die ganze Zeit Gedanken über diese Situation machen zu müssen.»

Die rund 150 Zuschauerinnen und Zuschauer, die ein Gratisticket für diesen vom Verein «SissachLive» organisierten und von der «Volksstimme» unterstützten Anlass ergattert hatten, liessen die im Dezember 2018 ins Amt gewählte Bundesrätin nach rund dreiviertel Stunden Talk nur ungern gehen. Gerne hätte man mehr und Vertieftes von Amherd gehört, auch über politisch Umstrittenes wie ihr derzeit wichtigstes Geschäft, den F-35- Kampfjet, dessen Beschaffung 1 Milliarde Franken teurer wird, wie am Tag nach Amherds Auftritt bekannt wurde.

Vielleicht hätte sie dem Publikum diesen «Primeur» gegönnt. Oder auch über die schwierige Entscheidungsfindung im Bundesrat, wenn es um die Massnahmen gegen die Pandemie geht. Vielleicht sollte Frau Amherd für eine Fortsetzung bald wieder einmal ins «Nachtcafé» kommen. Der Applaus und die Lacher wären ihr in Sissach sicher.

David Thommen