Die Kunst, nicht in Vergessenheit zu geraten
Wie kam es zu seinen legendären Worten «Freude herrscht» und warum hielt er bei Schneefall vor dem Lötschberg-Tunnel eine Weihnachtsansprache? Dies und noch mehr verriet der ehemalige SVP-Bundesrat Adolf Ogi im «Volksstimme»-Nachtcafé.
Schon fast ein Vierteljahrhundert ist es her, als Adolf Ogi im Jahr 2000 den Bundesrat verliess. 13 Jahre lang gehörte der SVP-Politiker der Landesregierung an. Ogi hält heute noch den Rekord für den Bundesrat mit den meisten gehaltenen Reden – es waren 2233, also alle zwei Tage eine. Er war auch der Bundesrat mit den meisten Auslandreisen und das, obwohl er nie Aussenminister war. Er galt als volksnah und bodenständig und scheute den Austausch mit der Bevölkerung nicht.
Dass der Kandersteger bis heute nichts von seiner Popularität eingebüsst hat, zeigte sich am vergangenen Donnerstag im «Volksstimme»-Nachtcafé. Im Gelterkinder Marabu herrschte «Full House».
Zu Beginn des Talks mit Moderatorin Anita Crain erzählte Ogi, der mit Krücken auf die Bühne steigen musste, dass bei ihm aktuell «keine Freude herrscht», da seine Achillessehne gerissen sei und er sich einer Operation unterziehen musste.
Nach dieser Anlehnung an sein bekanntestes Zitat musste Ogi erklären, wie es dazumal zu dieser Aussage kam: 1992 war es, als der damalige Bundespräsident René Felber vom Verkehrshaus aus mit dem Nasa-Astronauten Claude Nicolier im All hätte sprechen dürfen. Der Zufall wollte es so, dass Felber just zu diesem Zeitpunkt im Spital lag und Ogi als sein Vize das Gespräch, das im Fernsehen übertragen wurde, übernehmen musste. Vor Ort in Luzern hätte ihm ein amerikanischer Nasa-Mitarbeiter einen Zettel in die Hand gedrückt: «Die wollten mir sagen, was ich mit Nicolier zu reden habe», erzählte Ogi, der das natürlich nicht tat. Die Situation rund um die Schaltung zu Nicolier, der in einer Kapsel sass und ein Bild des Matterhorns hinter sich hängen hatte, überforderte Ogi: «Ich habe deshalb einfach gesagt: ‹Bonjour Monsieur Nicolier, ici Adolf Ogi. Freude herrscht.›»
Ogi sagte, er sei nach dieser Aussage medial «durch den Kakao» gezogen worden. «Die Journalisten schrieben, ich könne nicht mehr als zwei Wörter aneinanderhängen, ohne einen Akkusativfehler zu machen», so Ogi über damalige Zeitungsberichte, die ihn «möge händ». Irgendwann hätte sein Ruf als unstudierter Bundesrat dann aber gekehrt und «Freude herrscht» wurde zu einem Klassiker im positiven Sinn. «Ich hätte dafür Tantiemen verlangen müssen», sagte Ogi und lachte.
Legendäre Weihnachtsansprache
Neben «Freude herrscht» blieb auch Ogis legendäre Weihnachtsansprache 1999 im Gedächtnis der Bevölkerung – bis heute. «Ich wollte, dass das die beste Rede wird, die ich je gehalten habe», so Ogi, der seine Mitarbeitenden aufgefordert hatte, Vorschläge zu erarbeiten. Da diese Ideen «unbrauchbar» waren, entschied sich Ogi, mit einer Tanne vor den Lötschberg-Tunnel zu stellen und sich von da aus an die Fernsehzuschauer zu richten.
Seine Idee verunsicherte ihn jedoch, daher holte er sich Rat beim Walliser Hotelier und Bergführer Art Furrer, der für Ogi eine «Mischung aus einer Alpengeiss und amerikanischem Cowboy» ist. Dieser verwies ihn jedoch an den Moderator Kurt Felix, der ihm lediglich gesagt habe: «Machen!»
Die skurrile Ansprache vor dem Eisenbahntunnel ging, wie vielen bekannt ist, in die Hose, obwohl die Rede inhaltlich gut war. Der Teleprompter stand zu weit weg und es hat geschneit. «Die Menschen zu Hause dachten wohl, dass ich schäume», sagte Ogi zu seinen gefrorenen Lippen. Das zahlreiche Publikum im Marabu lachte auf – nicht das einzige Mal an diesem Abend.
Dass er noch heute für solche Aktionen bekannt ist, stört Ogi nicht – im Gegenteil: «Es ist die Kunst eines Politikers, nach seinem Abtreten nicht in Vergessenheit zu geraten.»
Zurück zum Glauben gefunden
Neben unterhaltsamen Anekdoten ging Anita Crain dann auch auf den politischen Höhepunkt des Kanderstegers ein: die «Neue Eisenbahn-Alpentransversale», kurz Neat. «Ich habe für das 15 Milliarden Franken teure Projekt gekämpft», so Ogi rückblickend. Er wies darauf hin, wie speziell es in den 1980er-Jahren gewesen sei, dass sich ein Politiker für den öffentlichen Verkehr einsetzt.
Ogi erzählte auch von skurrilen Situationen mit anderen Politikern von Weltformat. Zum Beispiel davon, als er mit dem französischen Präsidenten François Mitterand während eines gemeinsamen Flugs in Turbulenzen geraten war und der Franzose Angst bekam. Oder als er den Staatsbesuch des chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin in der Schweiz nach tibetischen Protesten dank eines Bergkristalls retten konnte.
Neben der Politik führte Ogi, der aus einfachen Verhältnissen mit einem Förster als Vater und einer Hausfrau als Mutter stammt, auch ein schicksalsvolles Privatleben. 1972 heiratete er Katrin und bekam anschliessend zwei Kinder mit ihr. 2009 traf die Familie jedoch ein Schicksalsschlag, als Sohn Matthias 35-jährig den Kampf gegen den Krebs verlor. «Meine Frau und ich werden seinen Tod nie verarbeiten können», sagte Ogi. Er sei immer gläubig gewesen, doch nach Matthias’ Tod seien ihm Zweifel an Gott gekommen. Der ehemalige Skirennfahrer Pirmin Zurbriggen, der auch gläubig ist, habe ihm dann erklärt, dass es Matthias dort, wo er jetzt sei, besser gehe als auf der Erde. Das hat Ogi ein wenig geholfen.
Irgendwann fand Ogi zurück zu seinem Glauben und er gründete die «Stiftung Freude herrscht», die Projekte mit Kindern und Jugendlichen im Sportbereich unterstützt. «Sport vermittelt ganz besondere Werte. Wenn das Kindern helfen kann, ist das im Sinn von Matthias», so Ogi.
Mit seinen fast 82 Jahren hätte der frühere Spitzenpolitiker, zumindest wenn man nach Amerika blickt, die besten Chancen für den Wiedereinstieg in die Politik. «Wäre das etwas für Sie?», fragte Moderatorin Anita Crain. «Nein», entgegnete Ogi entschieden und lachte. Dem aktuellen «Kandersteger» Bundesrat, Albert Rösti, habe er ein Liste mit Tipps gegeben und ihm angeboten, ihn bei Fragen jederzeit kontaktieren zu können. «Das macht er aber nie. Anders als Christoph Blocher», so Ogi.
Aktuelle Projekte seien Auftritte wie im Nachtcafé oder «diesen blöden Schuh zu tragen», so Ogi mit Verweis auf seine operierte Achillessehne. «Mit meinen Auftritten möchte ich den Leute eine Freude bereiten», sagte Ogi. Das hat er am Donnerstag im Marabu zweifellos getan. Davon zeugte nicht zuletzt die Tatsache, dass der Alt-Bundesrat nach dem Talk mehr als eine halbe Stunde lang Autogramme geben und sich fotografieren lassen durfte.
Luana Güntert
(Bild Team Schwarz)
Volksstimme Nr. 128 / 2024