Nachtcafé vom 30.10.2009   Liste aller Gäste       

Martin Heller
Kulturunternehmer 

Martin Heller «Das Dreiländereck wird leider nicht gelebt»
Martin Heller blickt mit Ambivalenz auf die «Expo.02» zurück, freut sich über sein Mandat als Intendant der Kulturhauptstadt Linz und weiss noch nicht, was er danach tun wird. Zur Region Basel hat er den Bezug verloren.

pm. Wie gewohnt ganz in Schwarz gekleidet, setzte sich Kulturunternehmer Martin Heller am Donnerstagabend ins «Volksstimme»-Nachtcafé. Und natürlich war Linz eines der grossen Themen des Talks. Denn Heller ist Intendant der aktuellen europäischen Kulturhauptstadt. Das Grossprojekt, das ihn schon seit fünf Jahren beschäftigt, verfügt über ein Budget von 70 Millionen Euro.
Doch deshalb fühlt sich Heller nicht als Krösus: «Diese grossen Budgets werden in ganz viele kleine Teile zerlegt», beschwichtigte er. Aber es gehe sowieso nicht ums Geld, sondern darum, eigene Vorstellungen umsetzen zu können: «Intendant ist ein schöner Titel. Mir kann niemand dreinreden.» Toll sei auch der Prozess, bei dem in der Zusammenarbeit mit anderen etwas entstehe, das sich nicht unbedingt von Anfang an abgezeichnet habe.

Braune Sauce
«Das Anspiel war gut», lautete Hellers Resümee zu Linz. Es ginge jedoch nicht alleine um das einjährige Kulturfest, sondern um den Start einer neuen Entwicklung – und auch um das Verarbeiten einer schlimmen Vergangenheit: Hitler machte die Stadt im Krieg zum Industriestandort, liess in der Nähe Juden in KZ internieren und hatte hochfliegende Zukunftspläne für den Ort, an dem er seine Jugend verbracht hatte.
«Wir haben in Linz offen über dieses Kapitel gesprochen. Auch darüber, dass die braune Sauce nicht vom Himmel gefallen war», sagte Heller. Die unrühmliche Geschichte sei wohl mitverantwortlich dafür, dass er als Schweizer, also als unbelasteter Aussenstehender, zum Intendanten gemacht worden sei: «Auch weil dann weniger Krach zwischen alten Seilschaften vorprogrammiert war. Diesen Krach gab es dann zwischen den einzelnen Gruppen und mir», so Heller.
Zur «Expo.02», deren künstlerischer Leiter Heller gewesen war, hat der Wahl-Zürcher rückblickend offenbar ein ambivalentes Verhältnis: Einerseits verwies er auf den Besuchererfolg – etwa die Hälfte der Landesbevölkerung sei mobilisiert worden – andererseits aber auch auf die Schwierigkeiten, in einem verpolitisierten Umfeld und angesichts zahlreicher gesetzlicher Hindernisse eine öffentliche Ausstellung zu organisieren.

Zürich wird nie Kulturhauptstadt
Als Beispiel führte Heller die Tatsache an, dass für sämtliche Bauten nur temporäre Baubewilligungen vorlagen: «Als die Murtener merkten, dass es eigentlich schade sei, den Würfel auf dem See wieder abzubauen, war es bereits zu spät.» Einzig Biel habe sich seit der Expo gemausert.
Die Frage von «Volksstimme»-Verlagsleiter Robert Bösiger, wann Zürich einmal Kulturhauptstadt Europas werde, beantwortete Heller mit «nie!». Einerseits wegen des Kantönligeists, da auch Bundesbern Gelder sprechen müsse. Andererseits nur schon, weil die Schweizer Politik nie den Mut aufbringen würde, grosse Budgets zur Planung zu sprechen, ohne dass von vornherein feststehe, wohin genau die Reise gehe.
Nach der Expo hatte Heller vergeblich auf neue Job-Angebote gewartet. Einzig vom Schweizer Fernsehen habe eines vorgelegen. Doch die Zusammenarbeit habe sich «wegen Inkompatibilität mit Generaldirektor Armin Walpen» schnell zerschlagen. Also wagte sich Heller mit 50 Jahren in die Eigenständigkeit und gründete sein Kulturunternehmen «Heller Enterprises» in Zürich. Dieses sei sein «Dach und Boden», weise 350 Stellenprozente auf und schreibe heuer, nach sechs Jahren «halbwegs schwarze Zahlen».
Wie es nach Linz weitergeht, weiss Heller noch nicht genau: Der 57-Jährige, verheiratet und Vater einer Tochter, hofft auf einen Auftrag für eine grosse Ausstellung über Stadtentwicklung in Berlin. Und in Linz hofft er, auch über die Zeit seines Mandats hinaus seine Wohnung behalten zu können: «Ich liebe die Donau heiss», sagte Heller und erzählte, dass er deswegen sogar eine Prüfung zum Führen von 10-Meter-Schiffen gemacht habe.
Zu den beiden Basel, in denen er gross geworden und in denen er seine Karriere gestartet hat, habe er keine innige Beziehung mehr: «Die Eltern sind gestorben, das Haus in Arlesheim ist verkauft und mit der Zeit haben sich die Kontakte verloren», so Heller. Ausserdem sei ihm Basel zu wenig international: «Das Dreiländereck wird leider nicht gelebt.»


Volksstimme Nr. 111 / 2009