Nachtcafé vom 14.09.2012   Liste aller Gäste       

Eveline Widmer-Schlumpf
Bundespräsidentin 

Eveline Widmer-Schlumpf Während einer Stunde stand Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf im Nachtcafé Red und Antwort. Das Politische streifte sie dabei nur kurz, dafür sprach sie über die Zeit nach der Wahl zur Bundesrätin und wie sie es schafft, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.

Kaum hatte sie einen Schritt in die Obere Fabrik gesetzt, wurde sie auch schon mit stürmischem Beifall begrüsst: Es war ein herzlicher Empfang, den die Besucher des «Volksstimme»-Nachtcafés der angereisten Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf bereiteten. Nach diesem Applaus fiel es «EWS», wie sie in Bundesbern genannt wird, auch leicht, während der ganzen Stunde unbeschwert Red und Antwort zu stehen und für den einen oder  anderen Lacher zu sorgen – vor allem, wenn sie sich einen Seitenhieb auf ihre ehemalige Partei nicht verkneifen konnte.
Auch als Nachtcafé-Gastgeber Robert Bösiger auf den 12. Dezember 2007 zu sprechen kam, wich Widmer-Schlumpf keiner Frage aus – sie griff lediglich zu einem grossen Schluck Wasser und betonte nochmals, dass nicht sie es gewesen sei, die Christoph Blocher zu Fall brachte. «Wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, würde ich nicht glauben, dass es so etwas gibt», erzählte sie rückblickend von den Monaten nach ihrer Wahl zur Bundesrätin.
Während dieser schwierigen Zeit in Bern griff Widmer-Schlumpf vermehrt zum Stift und brachte ihre  Erlebnisse zu Papier: «Damit meine Kinder einmal verstehen, was damals mit mir passiert ist und weshalb ich mich so verändert habe», erklärte sie. Und schob auch gleich nach, dass ihre drei Kinder die einzigen seien, die diese Schriften je zu sehen bekommen werden.

Misstrauen gegen nette Gegner
Die Familie sei es auch gewesen, die ihr in dieser schwierigen Zeit geholfen habe: «Als Familienfrau lernt man, in zwei Welten zu leben», sagte Widmer-Schlumpf. Sie habe gelernt, mit der Haustür auch die Tür der Berufswelt zu schliessen und sich voll und ganz auf ihre Familie zu konzentrieren. So habe sie auch den Spagat geschafft zwischen Privatleben und dem Alltag als Bundesrätin, zwischen dem Jubel der Blocher-Gegner und der harschen Kritik ihrer ehemaligen Parteikollegen. Eine Situation, die sie viel Kraft gekostet hat: «Ich musste auf harte Weise lernen, mit Kritik umzugehen, und mich davon nicht paralysieren zu lassen.»
Heute scheint sie mit Gegenwind locker umzugehen, sich oftmals auch ein Spässchen daraus zu machen. «Wo ich Bosheiten erwarte, erschrecken sie mich auch nicht», sagt Widmer-Schlumpf mit einem Lächeln. Andererseits werde sie misstrauisch, wenn ihre Gegner allzu freundlich seien.

Frauen müssen Karriere wollen
Die Familie hat auch heute noch einen wichtigen Stellenwert im Leben von Eveline Widmer-Schlumpf. So lässt sie es sich nicht nehmen, sich regelmässig um ihren knapp einjährigen Enkel zu kümmern. «Ich will nicht, dass der Kleine irgendwann fragt, wer denn die alte Frau da sei.»
Für sie sei es immer klar gewesen, dass sie Familie und Beruf vereinbaren möchte. «Das wusste mein Mann, als wir uns vor 30 Jahren kennenlernten», erzählte sie. Dank ihm und ihrer Mutter sei es ihr gelungen,  beides zu schaffen. Ein System, wie sie es sich noch für andere Frauen erhofft: Ihrer Meinung nach liegt es auch an den Frauen selbst, dass sie in Politik und Wirtschaft untervertreten sind. «Es ist so toll, wenn man beides schaffen kann», sagte sie.
Widmer-Schlumpf ist als Tochter von alt SVP-Bundesrat Leon Schlumpf mit der Politik aufgewachsen, auch wenn sie betont, dass ihr Vater seine drei Töchter nicht zur Politik gedrängt habe: «Das sieht man schon daran, dass wir völlig unterschiedliche Berufe gewählt haben», so  Widmer-Schlumpf. Ihr prägendstes politisches Erlebnis war denn auch ein anderes: «Als die Russen 1968 in Prag einmarschierten, holte unser Lehrer ein Radio und sagte: ‹Jetzt müsst ihr still sein, jetzt erlebt ihr Geschichte.›»

Alle Bilder zum «Volksstimme»-Nachtcafé finden Sie unter www.volksstimme.ch

Volksstimme Nr. 103 / 2012