Augenschein vom 01.07.2004   Liste aller Augenscheine       

Tierchen, die das Wässerchen sauber trüben

Tierchen, die das Wässerchen sauber trüben Das geklärte Wasser verlässt die ARA Richtung Ergolz.
Kläranlagen müssen nicht stin ken. Das hat der «Volksstimme»-Augenschein bei der ARA Ergolz 1 in Sissach gezeigt. Das ARA-Gelände ist auch Tummelplatz seltener Tiere.

gr. «Kürzlich hat eine Anwohnerin an einem Samstagabend die Polizei gerufen, weil die Kläranlage stinke.» Das konnte René Wirz, Betriebsmitarbeiter der ARA Ergolz 1 in Sissach nicht glauben: «Ich bin also hingefahren. Gestunken hat Gülle, die ein Landwirt ausgebracht hat.»
Geruchsbelästigungen durch Kläranlagen gehören also der Vergangenheit an. Davon konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten «Volksstimme»-Augenscheins am vergangenen Dienstag überzeugen. Alleine schon beim Betreten der Anlage erinnert wenig daran, was hier eigentlich abläuft. Die Klärbecken sind alle überdeckt – vom Abwasser strom ist wenig zu sehen.
Zu sehen gibts das Abwasser im Labor. Allerdings nicht als Strom, sondern literweise in Messzylindern. Wirz hat eine Reihe von Gläsern bereitgestellt; der Schlamm hat sich schon am Boden der Gefässe abgesetzt. Auffällig, dass die Schicht im «frischen» Abwasser viel weniger dick ist, als in der Probe aus dem Belebungsbecken. Als Letzte stehen zwei Messgläser mit klarem Wasser in der Reihe. Von Auge nicht voneinander zu unterschei den: eines enthält geklärtes Was ser, das andere Trinkwasser.
Zum Belebtschlamm gibts im Labor Anschauungsunterricht: Der Schlamm ist mit Abermilliarden von Mikroorganismen versetzt: Bakterien und Ein zeller entziehen dem Abwasser feins te Schmutzstoffe. Wirz hat eine Probe unter ein Mikroskop gelegt: Glockentierchen. Er schaut hinein: «Jetzt haben sie sich versteckt, die Sürmelcheibe!» Dann treten die «Sürmelcheibe» wieder ins Gesichtsfeld des Mikros kops, die Besucherinnen und Besucher können sich selber ein Bild von den Lebewesen im Belebtschlamm machen. Tatsächlich, da zappelt etwas, rundlich, fast durchsichtig und mit einem Schwänzchen.
Auch mit grösseren Tieren hat René Wirz zu tun. An einer Wand im Labor hängt ein Plakat mit farbigen Bildern von Salamandern, Fröschen, Kröten und Molchen sowie der Überschrift: «Was tun mit Amphi bien?» «Hier spült es selten mal einen Frosch an, höchstens wenn es regnet. Wir bringen ihn dann in den Tümpel auf dem Gelände», sagt Wirz. Auf dem ARA-Gelände lebt ausserdem die Ringelnatter – die ungiftige Schlange ist in der Region nicht mehr häufig anzutreffen. Eher zu erwarten wären Ratten, doch Wirz sagt, er sehe nie welche – und wenn, dann nur tot, angeschwemmt bei viel Regen.
Doch dieser Tage fliesst wenig Wasser durch die ARA Sissach: «Im Moment fliessen 82 Sekundenliter.» Wir sind im Kontrollraum, auf dem grossen Pult stehen zwei Computermonitore, welche die Anlage schematisch zeigen. Wirz klickt mit der Maus auf ein Becken, zeigt, wie sich alles per Mausklick steuern lässt.
Würde der Strom ausfallen ist vorgesorgt. Die ARA kann eigenen Strom produzieren: Der Klärschlamm, der in den Faultürmen lagert, produziert Gas. Dieses wird in einen Gasometer geleitet und damit wird ein Blockheizkraftwerk betrieben. «Wir könnten 30 Prozent unseres Strombedarfs selber decken, wenn die Anlage voll läuft», sagt Wirz.
Nach dem Blick ins Labor und die Kommandozentrale folgt ein Rundgang. Etwas unap petitlich wirds doch noch – beim Einlauf des Abwassers. Dort hängt ein bestimmter Geruch in der Luft. Erst wird das Wasser mechanisch gereinigt: am Grobrechen bleibe schon einmal Werk zeug eines Strassenarbeiters oder dergleichen hängen. Der Feinrechen ist weniger etwas für feine Nasen: dort werden Toilettenpapier und sonstige Hygieneartikel herausgefischt. Die Anlage sieht aus wie ein Förderband aus Rasenteppich, woran das aufgeweichte Papier hängt und es per Schnecke in eine Anlage transportiert. Alles Herausgefischte wird automatisch in Plastiksäcke abgefüllt und in eine Mulde befördert: «Absacken» nennt es Wirz.
Auf dem weiteren Weg des Wassers wird es vom Sand gereinigt, im Vorklärbecken vom Schlamm. Wirz weist die Be sucher auf einen «Blechpolizis ten» hin: «Mit diesem Gerät messen wir den PH-Wert. Wenn dieser auffällig abweicht, deutet das auf illegal eingeleitete Stoffe hin.» So konnten schon mehrfach Umweltsünder überführt werden, sagt Wirz.
Nächste Station des Wassers ist das Belebungsbecken, in dem sich die Mikroorganismen am Schmutz gütlich tun. Im Nachklärbecken wird der letzte Schlamm entfernt, da dieser immer noch «lebt», wird er wieder zurück ins Belebungsbecken gepumpt. Zwanzig Minuten bis zwei Tage, so lange würden die Mikroorganismen leben, sagt Wirz. Nachschub wird vor Ort gezüchtet.
Ab und an wird es für die nützlichen Winzlinge gefährlich. Auf einer Tafel mit Bildern der Tierchen zeigt Wirz auf etwas, das wie ein Wurm oder ein Röhrchen aussieht: «Das ist der Sphaer otilus, der frisst die andern, wenn er in Massen auftritt.» Schon zweimal musste seinetwegen der Belebtschlamm in den vergangenen Jahren komplett ausgewechselt werden.
Schliesslich läuft das Wasser durch Filter mit dicken Sandschichten, um dann geklärt in die Ergolz geleitet zu werden: «Viel weiter unten, bei der Autobahnbrücke», sagt Wirz, «hier ist Grundwasserschutzzone.»

(Bild Rolf Wirz)

Volksstimme Nr. 78 / 2004