Augenschein vom 09.08.2002   Liste aller Augenscheine       

In der Astronomie steht nichts still – alles bewegt sich

In der Astronomie steht nichts still – alles bewegt sich Eines der beiden Teleskope der Sternwarte Schafmatt.
Wegen grossem Andrang muss te der letzte Augenschein der «Volksstimme» auf die Sternwarte Schafmatt doppelt geführt werden. Rund 40 Leserinnen und Leser erfuhren, dass unsere Sonne unterdurchschnittlich und die viel gelobte Venus ein höchst unwirtlicher Planet ist.

los. Und das soll eine Sternwarte sein? Wo ist die grosse, weisse Kuppel? Wo ist der Schlitz und das riesige Fernrohr? Wo ist der schrullige Astronom im weissen, flatternden Kittel, der vom permanenten Sternen beobachten ungesunde Augenringe hat? Auf der Schafmatt, wo sich am Mittwoch- und am Donnerstagabend jeweils 20 «Volksstimme»-Leserinnen und -Leser zum sechsten und letzten Augenschein besammelten, war das einzige Gebäude weit und breit ein unscheinbares, graues Hüttchen, das entfernt an einen militärischen Schutzbunker erinnerte.
Vor dem Neubau der Sternwarte sei hier nur eine Art Gartenhäuschen gestanden, begrüss ten Thomas Erzinger und Heiner Sidler von der Astronomischen Vereinigung Aarau (AVA) die «Volksstimme»-Augen schein teilnehmer. «Und es wurde tatsächlich einmal mit einer Freiluft-Toilette verwechselt. Die deutsche Wandergruppe war ziemlich erstaunt, als ich ihnen den Inhalt des Hüttchens er klärte», sagte Erzinger.
Dass die Sternwarte so aussieht, wie sie aussieht und eben nicht wie eine der «Klischee-Sternwarten» hat durchaus seinen Grund. Ein kuppelförmiges Observatorium mache Sinn, wenn ein einzelner Astronom über eine längere Zeit etwas beobachten möchte. «Bei einer Führung kann aber genau eine Person durch das Okular schauen, während sich die neunzehn anderen langweilen.» Um der drohenden Langeweile vorzubeugen, wurde die Sternwarte mit einem speziellen Dach versehen. Ausserdem befindet sich die Sternwarte in der Juraschutzzone und dem wollte die AVA beim Bau Rechnung tragen und passte das Hüttchen der Mulde im Boden an.
Vorerst konnten die Augenschein-Teilnehmer noch nichts von diesem «speziellen Dach» erkennen, weil auf der Schafmatt astronomisch-unfreundliches Wetter herrschte. «Der As tronom braucht für seine Arbeit schönes Wetter und klare Sicht. Weil wir beides momentan nicht haben, müssen wir auf Multimedia ausweichen», erläuterte Heiner Sidler die ausfahrende Projektionswand.

Ein mickriges Sternchen
«Sonne?», «Mond?», «Mars?» Die Augenschein-Teilnehmer konnten nicht mit Sicherheit bestimmen, welcher Planet oder welcher Stern auf der Leinwand zu sehen war. Heiner Sidler löste das Rätsel und räumte mit dem ersten Vorurteil auf: «Sie sehen unsere Sonne und um es vorweg zu nehmen: Sie ist ein höchst unterdurchschnittlicher Stern. Ja höchstens ein mickriges Sternchen.»
Andere Sonnen in anderen Galaxien seien viel heisser, grösser und stärker. Dafür ist die Sonne der Stern, welcher der Erde am nächsten ist. Das Licht braucht von der Sonne bis zu uns nur acht Minuten. Bis zum nächsten Stern dauert die Reise des Lichts schon 4,2 Jahre. Wenn man bedenkt, dass das Licht mit einer Geschwindigkeit von 300000 Metern pro Sekunde unterwegs ist, eine riesige Dis tanz.
Mit dem Vorstellen der eigenen Sonne schufen sich Sidler und Erzinger ein Definitionsproblem. Eigentlich sind alle Sterne Sonnen, unsere Sonne ist ein Stern und alle Sonnen sind eigentlich Sterne. Alles klar?
Es sei einfacher als es tönt, sagte Sidler. Sonnen oder eben Sterne würden von sich aus leuchten; Planeten werden nur angeleuchtet. Der Grund für das Leuchten der Sterne ist in ihrem Kern zu suchen. «Der Kern von Sonnen ist dermassen dicht und heiss, dass eine Kernfusion stattfindet.»

Warum alle Wasserhahnen falsch angeschrieben sind
Im Innern der Sternwarte konnten die Augenschein-Teilnehmer nicht nur die Sonne in Nahaufnahme betrachten, sondern auch einen Blick auf grössere Zusammenhänge werfen. Spiralförmige Galaxien sind an den Wänden aufgehängt; rote, blaue, weisse und orange Punkte in einem scheinbar dynamischen Wirbel angeordnet. Die beiden Amateur-Astronomen räumten anhand dieser Bilder schon wie der mit einem Vorurteil auf.
Nicht die roten Punkte in der Galaxie sind die heissesten Sterne, sondern die blauen. «Eigentlich sind die Wasserhähne auf der ganzen Welt falsch angeschrieben», sagte Sidler und verglich die blauen Sterne mit der Farbe von geschmiedetem Stahl: «Zuerst wird das Stück rot und glühend, aber am Schluss, wenn es verarbeitet wird, ist es blau.»

Der Himmel von Australien
Eigentlich sei die Schafmatt ein denkbar schlechter Standort für eine Sternwarte, antwortete Thomas Erzinger auf die Fra-ge eines Augenschein-Teilnehmers. Der wollte wissen, warum in seinen Ferien in Australien der Sternenhimmel so grossartig gewesen sei. Der Himmel über dem Baselbiet dünke ihn im Vergleich wenig spektaku lär. Damit gab er den beiden Astronomen das Stichwort zu einem Thema, das sie wirklich be schäftigt: Die Lichtverschmutzung.
«Städte wie Basel oder Olten haben eine derart helle Lichtglocke über sich, dass es einfach nicht möglich ist, Sterne zu beobachten», erläuterte Er zinger. Sein Kollege ergänzte, dass auch viele Strassenlampen das Licht nicht auf die Stras-se, sondern Richtung Himmel schicken würden. «Es wird gar nicht mehr richtig dunkel.» Ein Skybeamer aus einem nahe gelegenen Dancing könne den ganzen Himmel kaputt machen, monierte Erzinger. «Wir haben immerhin etwa eine halbe Million Franken in diese Sternwarte investiert und irgendwo haben wir auch das Recht auf ein wenig klaren Himmel.»
Für einen schönen Sternenhimmel müsse man aber nicht unbedingt bis nach Australien reisen. Im Herbst, wenn der Nebel das Aaretal und das obere Baselbiet bedeckt, es trocken und klar ist, haben die Astronomen beinahe einen australischen Himmel.

Die Venus – sehr unwirtlich
Plötzlich unterbrach Thomas Erzinger seinen Vortrag, weil Kollege Sidler ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte: «Komm, die Venus nehmen wir noch mit.» Ein Horn ertönte und wo vorher noch das wärmende Dach der Sternwarte war, sah man nur noch den blanken Himmel. Das Dach war einfach nach hinten geschoben.
Mit prüfendem Blick gen Himmel sahen Sidler und Erzinger, dass die «Volksstimme»-Augenscheinbesucher einiges Glück hatten. Der Himmel war klar und Punkt 22.15 Uhr riss die erste Sternschnuppe eine glitzernde, temporäre Bahn zwi schen den einzelnen Leuchtpunkten. Es sollten noch viele Sternschnuppen folgen, aber trotzdem nicht genug, dass jeder der Besucherinnen und Besucher eine sehen konnte.
Zurück zur Venus. Und wieder ein Vorurteil weniger: Weder die Venus von Milo, noch die W.Nuss von Büne Huber treffen den wahren Charakter dieses Planeten. Der Treibhauseffekt auf der Venus ist um ein Vielfaches stärker als auf der Erde. Darum die unwirtliche Bodentemperatur: Auf der Ve nus herrschen zwischen 400 und 500 Grad – am Tag und in der Nacht. Ausserdem ist der Druck auf die Oberfläche in etwa gleich hoch wie bei dem tiefs ten Punkt unseres Ozeans. «Man bräuchte ein hitzeresis tentes U-Boot, um auf der Ve nus landen zu können.»
An diesem Abend war so eine Landung ziemlich sekundär – Hauptsache, die Augenschein-Teilnehmer konnten die Venus durch das Teleskop der Amateur-Sterngucker betrachten. Ein Stern um den anderen wurde von Sidler und Erzinger angepeilt und erklärt, bis knapp nach 23 Uhr die Freude vorbei war. Innerhalb von einer Minute überzog dichter Nebel die Schafmatt und verschluckte die herangezoomten Sterne.

(Bild Rolf Wirz)

Volksstimme Nr. 96 / 2002