Augenschein vom 03.08.2002   Liste aller Augenscheine       

Entdeckungen im Freilichtmuseum

Entdeckungen im Freilichtmuseum Biologe Guido Masé mit den Augenschein-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern im «Feld».
Feriengefühle im Freilichtmuseum ohne Öffnungszeiten: Rund 20 Leserinnen und Leser nahmen am «Volksstimme»-Augenschein im Diegter Naturschutzgebiet Chilpen teil.

los. Die Oberbaselbieter Ant wort auf Graubünden und das Tessin heisst Chilpen. «Ich wähne mich immer im Süden, wenn ich den Chilpen betrete», sagte der Biologe Guido Masé zu Beginn des «Volksstimme»-Augenscheins in das Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung. Grund für die Fe riengefühle seien die Föhren und Wacholdersträuche, die es in diesem Ausmass in der Region kein zweites Mal gebe. Die südlichen Pflanzen haben im Chilpen ein Plätzchen wegen des Bodens gefunden. Der lehmige Untergrund sei ein «extremer Boden» und darum prädestiniert für eine unglaubliche Artenvielfalt.
Eine Vielfalt, die erst auf den zweiten Blick auffällt. Die Wiesen im Naturschutzgebiet sehen nämlich ziemlich dürftig aus. «Der Chilpen ist keine üppige Blumenwiese, bietet aber viel mehr Pflanzen Platz.» Mit einem Beispiel demonstrierte der Biologe diese Vielfalt: Er stellte den Augenschein-Besuchern zwei unscheinbare Pflänzchen vor, die in unmittelbarer Nähe voneinander ihre Wurzeln geschlagen haben: Zum einen das Studentenrösli, eine Sumpfpflanze, die hauptsächlich in Flachmooren anzutreffen ist und zum zweiten die ästige Graslilie, ursprünglich auf Felsvorsprüngen beheimatet.
Wie kommt es, dass eine Pflanze, die ihre Füsse am liebs ten im Wasser hat, gleich neben einer Pflanze steht, mit dem ausgesprochenen Hang zur Tro ckenheit? Die Lösung ist wieder im Boden zu suchen. So schnell wie der lehmige Untergrund bei einem Regenguss rutschig wird, so schnell trocknet die Oberfläche wieder – aber das Wasser bleibt im Kalk gespeichert. Der so genannte Effingermergel ist rund 155 Millionen Jahre alt und stammt aus dem letzten Abschnitt der Jurazeit.
Nach diesem ersten Paradoxon überraschte der Biologe gleich nochmal, als er erläuter te, dass in Magerwiesen (nährstoffarm) mehr Sorten als in Fettwiesen (nährstoffreichen) wachsen können. «Auf Fettwiesen wachsen einige Pflanzen sehr stark und nehmen so anderen die Lebensgrundlage.» Das ist der Grund, warum im Chilpen an die 22 Orchideensorten zu finden sind. Auf Fettwiesen können die sensiblen Orchideen nicht überleben, weil ihnen das Licht fehlt.
Insofern ist der Chilpen eine Art Insel. Rund um das Naturschutzgebiet herrschen Fettwiesen und intensiv genutztes Land vor. Diese Isolierung ist der Grund, warum relativ wenig Tie re den Chilpen bewohnen. Es könne kein Austausch mit anderen Gebieten stattfinden, was eine grosse Sortenvielfalt bei den Tieren verhindere, sagte Masé. Darum wird momentan der Chil pen an gewissen Stellen ausgeholzt. So erhofft man, mehr verschiedene Schmetterlinge in das Naturschutzgebiet zu holen.

Freilichtmuseum
Nach den ersten Ausfüh rungen von Masé wuchs die Ehrfurcht der Augenschein-Teilnehmer vor dem Chilpen. Peinlich genau wurde darauf geachtet den einzigen Trampfelpfad durch das Gebiet nicht zu verlassen und ja nicht unbedacht eine seltene Pflanze niederzutreten. Man habe bei der Unterschutzstellung des Gebiets zuerst gezögert, mit dem Chilpen an die Öffentlichkeit zu gelangen. «Wir wollten ihn zuerst geheim halten», verriet Guido Masé.
Man habe denn auch zu Beginn noch häufig Camper und Feuerstellen im Chilpen angetroffen, das habe sich im Verlauf der Jahre aber gebessert. Der einzige Störfaktor sind heute noch Blumenfotografen, die auf der Suche nach einer seltenen Orchidee, Trampfelpfade im Chilpen anlegen. «Das Problem ist aber nicht so schwerwiegend, dass wir drakonische Massnahmen hätten ergreifen müssen.» Fürs Erste reichen Pfähle, welche die bereits vorhandenen Trampelpfade absperren.

Vielfältige Nutzung
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert war der Chilpen ein «Ab fallgebiet»: «Die Leute haben den Chilpen für die verschiedensten Zwecke gebraucht – sei es für punktuellen Getreideanbau oder als Viehweide.» Für den Hausbau sei der Mergel aus dem Chilpen gefördert worden und bis ins 19. Jahrhundert habe es noch diverse andere Nebennutzungen gegeben. Dass der Chilpen bis heute nicht vollständig zugewachsen ist, verdankt er dem Zweiten Weltkrieg und der Schweizer Armee. Das Militär hat den Chilpen als Übungsgelände gebraucht und so tüchtig umgegraben.
Seit 1990 kümmert sich ein professionelles Team um die Pflege und Erhaltung des Chilpens. Guido Masé ist für das «Monitoring» zuständig, das heisst, er überwacht den Wuchs im Chilpen und gibt Verbes serungsvorschläge. Weil der Chilpen ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung ist, unterstützt der Bund und der Kanton Baselland den Unterhalt.

(Bild Rolf Wirz)

Volksstimme Nr. 93 / 2002