Augenschein auf dem Breitenhof: Mit grossem Interesse verfolgen die Teilnehmer die Ausführungen des Betriebsleiters Thomas Schwizer (Bildmitte).
Rund 20 Leserinnen und Leser besuchten am dritten «Volksstimme»-Augenschein das Stein obstzentrum Breitenhof in Wintersingen. Besonders Eindruck machte die Wild- und Demons trationsanlage. Oder wussten Sie, dass Wildäpfel der Partyrenner sind?
los. 16000 Tonnen Kirschen werden jedes Jahr in der Schweiz produziert; rund die Hälfte davon stammt aus der Nordwestschweiz. Bei den Zwetsch gen (Jahresproduktion 8000 Tonnen) ist der Anteil aus unserer Region ein Drittel. Dieser Vorherrschaft im Steinobstbereich ist es zu verdanken, dass der Versuchsbetrieb Breitenhof in Wintersingen überhaupt noch existiert.
Zu Beginn der 90er-Jahre stand der Breitenhof wegen dem Spardruck des Bundes auf der Kippe. Weil die Kantone Baselland, Aargau und Solothurn die angesprochene Vorherrschaft nicht verlieren wollten, wollten sie den Breitenhof am Leben erhalten. Gemeinsam mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick und dem Schweizerischen Obstverband unterstützen die drei Kantone den Versuchsbetrieb. Nicht mit einem Pauschalbetrag, sondern mit gezielt finanzierten Projekten. Die fünf Partner sitzen auch im Beirat des Breitenhofs. «Der Rat wählt aus den vielen Problemen im Steinobstanbau die relevantesten aus und gibt die ungefähre Marschrichtung des Breitenhofs vor», wie Betriebsleiter Thomas Schwizer während des «Volksstimme»-Augenscheins sagte.
Der Breitenhof hat eine Nutzungsfläche von 13 Hektaren, davon ist rund die Hälfte bepflanzt. Von der bepflanzten Fläche nehmen fünfzig Prozent Versuche mit Kirschensorten ein, auf einem Hektar wird mit Zwetschgen experimentiert und der letzte Hektar gehört den Spezialitäten.
Vitaminrosen Die Führung begann im exotischsten Teil des Breitenhofs, der Wild- und Demonstrationsanlage. Laut Schwizer habe der Kanton Baselland diese finanziert, um den angehenden Bäuerinnen und Bauern in der Ausbildung auch etwas anderes als nur Kirschen und Zwetschgen zeigen zu können. Die Auswahl an unbekannten Früchten und Pflanzen ist riesig. Aus der ehemaligen DDR wurden Rosen importiert mit speziell grossen, dickwandigen Hagebutten und ohne Dornen. «In der DDR war es beinahe unmöglich, an Vitamin C zu kommen. Die Forscher kreuzten ihre Rosen so lange, bis diese vitaminreiche, dornen lose Variante herauskam.»
Ins Schwärmen geriet der Betriebsleiter bei der Beschreibung seiner Wildäpfel. Auf den ersten Blick gar nicht so exotisch, legt Schwizer die kleinen Äpfel nach der Ernte süss ein, um sie später als Leckerei aufzutischen. «Diese Äpfelchen sind der absolute Partyrenner. Die Leute stürzen sich darauf und haben ein erstes Ge sprächsthema», erzählt Schwizer. Er hat auch eine Alternative zum sommerlichen Glace-Schlecken parat. Naschi, eine asiatische Birne, wird ausser von Läusen von jeglicher Krankheit verschont und schmeckt frisch aus dem Kühlschrank wie ein Softeis.
Und wenn ein Partybesucher ob all dieser Herrlichkeit zu viel isst und eine Magenver stimmung bekommt, hat der Betriebsleiter ebenfalls eine Lösung parat: Büffelbeeren, importiert aus den USA, wurden schon von den Indianern als Mittel gegen Magenweh und Erkältung gebraucht. Manchmal reicht gegen Magengrimmen auch ein «Verrisserli». In vielen Regionen der Schweiz wird Schnaps aus Wildpflaumen, wie der Damassine, hergestellt und «alle Produzenten haben das Gefühl, genau ihrer sei der Beste.» In der Wildanlage auf dem Breitenhof werden zurzeit Wildpflaumen aus der ganzen Schweiz angepflanzt. Nach der Ernte wird sortenreiner Schnaps gebrannt: «Dann können wir vergleichen, welcher wirklich der Beste ist.»
Was die wenigsten der Augenschein-Teilnehmer bisher kannten, waren Paw Paw. Diese Frucht stammt aus Amerika, schmeckt wie eine Mi schung aus Banane und Ananas und ist kaum haltbar. Paw Paw werde angepflanzt, um auch in diesen Breitengraden ab und zu in den Genuss einer solchen Frucht zu kommen. Ebenfalls kaum haltbar und daher selten im Laden zu finden, sind Mirabellen: «Wir empfehlen den Jungbauern in irgend einem Winkel ihres Landes Mirabellen anzupflanzen. Nur wegen Kirschen oder Zwetschgen lockt man heute niemanden mehr auf den Hof.» Man brauche etwas Spezielles, um einen gewinnträchtigen Direktverkauf aufziehen zu können, ist Schwizer überzeugt.
Er selber verzichtet auf einen Direktverkauf vom Breitenhof. Es fehle ihm die Zeit und er wolle nicht die anderen Bauern konkurrenzieren, begründet Schwizer seinen Verzicht. Seine Früchte gehen nach Gelterkinden und von dort in die Grossmärkte.
100 Kirschensorten Der Hauptteil der Versuchsarbeit im Breitenhof be schäftigt sich aber nicht mit Exotik, sondern mit Kirschen. Rund 100 Sorten Kirschen sind auf der Plantage angepflanzt, von jeder Sorte stehen zwei Bäume. Darum auch die Bitte an die «Volksstimme»-Augenschein Besucher, nicht zu naschen. «Das könnte den Ertrag einer Sorte verfälschen und wir würden den Bauern etwas Falsches empfehlen.»
Auf der Plantage sind die verschiedensten Kirschbäume zu sehen: Hoch gewachsene, verkrüppelte, kleine, dicke und dünne. Alle haben ihre Vorteile und ihre Nachteile. Für die Qualität der Kirschen sei es am besten, wenn der Stamm hoch wachse. So fliesse der Saft ungehindert in die Kirschen.
Es fällt auf, dass die Bäume in erster Linie grosse, rote Kirschen tragen. «Das ist eine Bedingung des Marktes. Viele Leute kaufen die Kirschen nicht nach Qualitätsmassstäben, sondern mit dem Auge», wie Schwizer sagt. Es sei nun an ihnen, auch bei den grossen, roten eine Qualität wie bei den kleinen, schwarzen Kirschen zu erreichen. Der grosse Nachteil der grossen «Chirsi» sind die dafür benötigten Dächer. «Bei Regen platzen die grossen Kirschen unweigerlich auf.» Solche Dächer sind nicht billig. Ein Hektar abzudecken kostet laut Schwizer 60000 Franken, dazu kommen noch die Kosten für die Bäume. «Bis der Bauer zum ersten Mal an seinen Kirschen verdient, hat er 100000 Franken investiert.»
Neben den 100 Testsorten, ist der Breitenhof auch «Heimat» für 200 vom Aussterben bedrohte Kirschensorten. Diese Bäume sind nicht für die Produktion gedacht, sondern nur zur Erhaltung ihrer Art. «Dann und wann finden wir einen Bauern, der eine Sorte mitnimmt und bei sich zuhause wieder anpflanzt.»
Keine Fehler Ein lustiges Bild gibt die Zwetschgenplantage neben den Kirschen ab. Die Bäume stehen schräg, sind dreigeteilt, ganz ausgedünnt oder buschbreit. Weil die Zwetschge derart fruchtbar sei, experimentiere man hier mit der perfekten Ausdünnung. Wie viel Zwetschgen darf ein Ast tragen, um den perfekten Ertrag zu erzielen, lautet die Frage. Gleichzeitig wird mit der bestmöglichen Ausnützung des Raumes experimentiert. Das ist der Grund, warum einige Bäume aus drei Seitentrieben bestehen und andere völlig schief ihre Äste gegen den Himmel recken. Natürlich funktioniert nicht jede Variante gleich gut, aber Fehler, so Schwizer, passieren auf dem Breitenhof keine: «Wir sind ein Forschungsbetrieb. Wir machen Versuche, keine Fehler.»