Augenschein vom 12.07.2006   Liste aller Augenscheine       

Am Basler Tor zur grossen weiten Welt

Am Basler Tor zur grossen weiten Welt Die Basler Rheinhäfen setzen jährlich neun Millionen Tonnen Güter um.
Nach den ergiebigen Grabungen in der Römerstadt Augusta Raurica fühlten die «Volksstimme»-Leserinnen und -leser den Puls der grossen weiten Welt im Kleinhüninger Hafen. Dank Beziehungen konnten die Gäste aus dem Oberbaselbiet Türen aufstossen, die bei «normalen» Führungen verschlossen bleiben.

Man kennt den «Schorsch vom Hafe-Beggi zwai». Und man besuchte auf der Schulreise wahrscheinlich auch einmal das Schifffahrtsmuseum. Dann aber ist es mit der Weisheit über den Rheinhafen, der Eingangspforte zur Schweiz meistens vorbei. Nicht so bei der «Volksstimme»-Mannschaft, die vorgestern bei hochsommerlichen Temperaturen auf Hafen-Tour ging und sich unter sengender Sonne weiterbildete.
Wo sich Wasser- und Schienenwege sowie Strassen auf engem Raum treffen, da braucht es auch Raum, um die Güter zwischenzulagern, die in die Schweiz kommen oder die ins Ausland exportiert werden. Nicht weniger als neun Millionen Tonnen Güter aller Art werden pro Jahr in den vier Rheinhäfen beider Basel – Kleinhüningen und St. Johannim Stadtkanton, Birsfelden und Au/Muttenz im Baselbiet – umgeschlagen. Das sind rund 15 Prozent des schweizerischen Aussenhandels. Dass den Hafenanlagen eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt, muss wohl nicht besonders hervorgehoben werden.

Ein- und wieder ausgeladen
Als Einstimmung zum Hafenrundgang unter der Führung von Jules Fehlmann, pensionierter Leiter Rheinhäfen bei SBB Cargo, statteten die 25 Interessierten dem Schifffahrtsmuseum einen Besuch ab. Eine kurze Filmvorführung vermittelte einen Eindruck darüber, was an den Verkehrsdrehscheiben so alles ein- und ausgeladen wird. Schon in frühester Zeit wurden der Rhein und andere Flüsse als Transportwege genutzt. Um bergwärts gegen die Strömung fahren zu können, wurden die Schiffe getreidelt, das heisst, mit Pferden längs der Uferwege gezogen.
Damit der Rhein zwischen Rheinfelden und Rotterdam schiffbar ist, müssen auf dem 850 Kilometer langen Weg bis zur Nordsee zwölf Staustufen überwunden werden. Diese dienen auch der Stromerzeugung. Allein zwischen Basel und Strassburg beträgt der Pegelunterschied 110 Meter. Darüber hinaus überzieht ein ausgedehntes Kanalnetz ganz Mitteleuropa.
Wenn der Kesselwagen leckt
Der nächste Besuch galt dem Stellwerk 1. Benedikt Lagger, Leiter Betriebsführung der Rheinhäfen für SBB Cargo, schilderte, unterstützt von seinen Mitarbeitern, in groben Zügen, was auf der Schiene abläuft. Dabei öffnete er auch jene Türen, die dem Publikum sonst verschlossen sind. Abgesehen vom Wochenende werden auf den ausgedehnten Gleisanlagen täglich zwischen halb vier Uhr morgens und elf Uhr abends 400 bis 600 Bahnwagen be- und entladen, rangiert und zu Zugskompositionen zusammengestellt.
Das Besondere am Stellwerk 1 ist sein Alter. Mit Jahrgang 1942 nähert es sich dem ordentlichen Pensionsalter, erfüllt aber seinen Zweck nach wie vor zuverlässig, selbst bei 34 Grad am Schatten. Ohne Papiere bewegt sich kein Bahnwagen, wie bei der Wagenkontrolle nebendran zu erfahren war.

Handschrift und Heidelbeersaft
Brauchte es früher eine schöne Handschrift, um die Wagen anzuschreiben, übernimmt heute der Drucker diese Aufgabe. Zudem wird über jeden Wagen und die bis 600 Meter langen Kompositionen EDV-mässig genau Buch geführt.
Beim Gefahrengut gelten besonders strenge Vorschriften. Dennoch musste, wie der Bahnmitarbeiter erzählte, vor einiger Zeit die Feuer- und Chemiewehr alarmiert werden, als aus einem griechischen Kesselwagen eine unbekannte Flüssigkeit tropfte und einen undefinierbaren Geruch verbreitete.
Wohl war der Wagen korrekt beschriftet, aber nur in griechischer Schrift. In Windeseile analysierten die Profis der -Chemiewehr das «Gefahrengut» und stellten fest, dass es sich um – Heidelbeersaft handelte.
Duft der grossen weiten Welt
In luftiger Höhe auf einem Getreidesilo mit prächtigem Ausblick schilderte Fehlmann den Werdegang der Häfen und deren Zukunftsaussichten. Der Start im Jahr 1904, als das erste Schiff aus Holland in Basel andockte und seine Ladung – 300 Tonnen Kohlen – löschte, klappte wie geplant. Danach kam es bei einem Wendemanöver zu einer Havarie, die ein Absaufen des Kahns vor den Augen des Publikums zur Folge hatte.
Trotz ordentlicher Sonneneinstrahlung genossen die Oberbaselbieter ihren Abstecher an den Rhein. Jeder Hafen – ein Binnenhafen muss sich da gar nicht verstecken – hat seine eigene Atomosphäre. Daran zu schnuppern, mit etwas Seemannsgarn gewürzt, das ist das Faszinierende.

Text Otto Graf Bild Christian Horisberger

Volksstimme Nr. 82 / 2006