Augenschein vom 05.07.2006   Liste aller Augenscheine       

Ausgraben, was die alten Römer verloren haben

Ausgraben, was die alten Römer verloren haben Graben, was das Zeug hält:Die Augenschein-Teilnehmenden förderten Beachtliches zu Tage.
Graben und buddeln was das Zeug hielt, konnten die Teilnehmer am ersten «Volksstimme»-Augenschein dieses Jahres in Augusta Raurica. Neben dreckigen Händen und Hosen gab es bereits nach einer Stunde auf der Grabung Erfolgserlebnisse: Römische Scherben erblickten nach gut 1800 Jahren erstmals wieder Tageslicht.

ans. Der Pickel trifft auf die trockene Erde und bricht einige Brocken Dreck aus der knapp 20 Zentimeter dicken Schicht heraus. Zwischen Steinen und Staub liegen einige kleine rote Bruchstücke römischer Ziegel. Und mittendrin ein verbogener, rostiger, antiker Nagel.
Markus Schaub, Leiter Publikumsgrabungen in Augst, betrachtet das gute Stück: «Zwar findet man bei uns meistens etwas, aber bereits nach so kurzer Zeit ein Hinweis auf antike Baustrukturen – alle Achtung.» Publikumsgrabung in der Römerstadt Augusta Raurica: Die Teilnehmer des «Volksstimme»-Augenscheins dürfen nach vergrabenen Schätzen suchen.
Ausgerüstet mit Pickel, Maurerkelle, Schaufel und Kessel machen sich die Laien ans Werk, tragen Stück für Stück die Erdschicht ab, auf der Suche nach Keramikscherben. NachNägeln. UndTierknochen

Grosse Römerstadt
Schauplatz ist der östliche Teil der römischen Siedlung aus dem 1. bis 3. Jahrhundert nach Christus. Gesucht wird, was der Römer knapp innerhalb der Stadtmauer entsorgt hat, irgendwohin weggeworfen oder vergraben und vergessen hat. In Augusta Raurica dürfte da so einiges angefallen sein; schliesslich war die Stadt mit zwischen 15000 bis 20000 Einwohnern für die damalige Zeit relativ gross.
«Vor 2000 Jahren herrschte hier ein Riesenbetrieb», erklärt Schaub. Denn die Grabung befindet sich direkt an der grossen Oststrasse, die von Augst nach Vindonissa, ins heutige Windisch, führte. Die Durchgangsstrasse war links und rechts von Häusern gesäumt. In einem davon buddeln die «Augenschein»-Hobby-Archäologen.
Geortet wurden die Gemäuer in den trockenen Sommer von 1947 und 1989. Da sie nur rund 15 Zentimeter unter dem Erdboden liegen, trocknet das Gras darüber schneller aus, als auf den umliegenden Flächen. Und auf Flugaufnahmen wurden so die dürren Streifen oberhalb der Mauerwerke ersichtlich. «Deshalb konnten wir die Stadt relativ gut rekonstruieren», sagt Schaub. Er ist auch wissenschaftlicher Zeichner; aus seiner Feder flossen die Rekonstruktionsbilder der antiken Stadt.

Im Schweisse des Angesichts
Der Schweiss tropft, ausgerechnet an einem der heissesten Tage im Jahr darf gegraben werden. Doch das ist der Stimmung keineswegs abträglich. Da wird mit und ohne Unterhemden gepickelt und geschaufelt was das Zeug hält, Kessel um Kessel füllt sich mit Dreck. Und die Scherbenhäufchen neben den Teilnehmern wachsen zuweilen beträchtlich an.
Es kommen Ränder antiker Becher zum Vorschein, Tierknochen, verzierte Keramik, Luxus-Tonware, deren rötlicher Glanz so frisch ist als hätte man erst vor wenigen Wochen einen Blumentopf gekauft, zerschlagen und vergraben. Das Material ist aber tatsächlich 2000 Jahre alt, genannt «terra sigillata», und ist Keramik von bester Qualität – mit Tonschlicker überzogen und bei hohen Temperaturen gebrannt. Schaub staunt ob der Fundstücke: «Das ist verblüffend viel Material für die einstündige Grabung.» Dennoch muss der Finder alles wieder abgeben. Das gehört der Römerstadt Augusta Raurica.

Aufgeschüttet, neu gebaut
Gegraben wird nicht wahlweise, sondern mit dokumentiertem System. Schicht für Schicht wird abgetragen, die Fundstücke in jeweils separate Kisten verfrachtet. Damit lassen sie sich genau lokalisieren, analysieren und später datieren. Schliesslich stand im Zentrum von Augusta Raurica der letzte Römer fast sechs Meter weiter oben als der erste Siedler im Stadtgebiet; wollte der Römer um- oder neu bauen, wurde das Bestehende einfach planiert und darüber weitergebaut.
Nach gut einer Stunde ist fertig gegraben. Aufräumen, Hände waschen, Hemden anziehen. Normalerweise dauern Publikumsgrabungen vier Tage, sind aber bereits Monate im Voraus ausgebucht.
Als Zückerchen hängt Schaub eine Führung durchs römische Osttor, das grosse Grabmonument und das gezeichnete Stadtpanorama über dem antiken Töpferhaus an. Zwar war das Tor einst als Verteidigungsanlage der Stadt geplant. Doch als man die Grenze des römischen Reiches in der Kaiserzeit weit nach Osten und Norden ausdehnte, wurde der Ausbau des Bollwerks hinfällig.
Auch das monumentale Grabmal aus flavischer Zeit ausserhalb der Tormauern beeindruckt mit seinen 15 Metern Durchmesser. Eine direkte Zuweisung ist allerdings nicht möglich. Die Archäologen haben noch keine Inschrift gefunden. «Wir gehen davon aus, dass hier einer der Bürgermeister von Augusta Raurica bestattet wurde», sagt Schaub.
Dafür konnte man gleich gegenüber, bei der Violenbach-Brücke, auf tierische Hilfe zählen. Die Wollschweine des römischen Haustierparks stiessen in den 1990er-Jahren beim Wühlen in der lockeren Erde auf die Widerlager der antiken Brücke. «Ein Glücksfall», so Schaub. «Denn nun wissen wir, wo die römische Strasse über den Violenbach führte.»
Farbige und erlebte Antike vor der Haustür. Augusta Raurica fasziniert; nicht zuletzt weil die Geschichte dieser archäologischen Perle des Kantons Baselland immer besser dokumentiert und verstanden wird. Dass auch Laien ihren Teil dazu beitragen können, zeigen die Publikumsgrabungen. Was die Augenschein-Teilnehmer tatkräftig bewiesen.

(Bild Michael Greilinger)

Volksstimme Nr. 79 / 2006