Leserreise vom 15.09.2003   Liste aller bisherigen Leserreisen           

Welch eine Aussicht: Wald so weit das Auge reicht

Welch eine Aussicht: Wald so weit das Auge reicht Die versammelte Reisegemeinde geniesst das Schwarzwaldwetter.
Erstmals ist die Leserreise der «Volksstimme» in zwei Auflagen mit jeweils nur einem Car durchgeführt worden. Diese Praxis hat sich bewährt. Es liegt auf der Hand, dass eine Gruppe mit 40 Personen einfacher zu führen und unterzubringen ist als eine doppelt so grosse.

og. Auch bei der zweiten Auflage zeigte sich das Wetter von seiner besten Seite. Die Dreiländerfahrt im bequemen Bus der Sägesser Reisen AG führte zunächst ins Elsass. Während der Stadtbesichtigung in Strassburg mittels Boot auf der Ill, vorbei am Europaparlament und vielen historischen Gebäuden, überraschte Edith Graf aus Sissach die Leute mit ein paar Flaschen «Bischofsteiner» aus eigenem Anbau. Danach fand sich die Gruppe zum Mittagessen in der «Käseglocke» ein.

Unlaubliche Vielfalt
Käseliebhaber kamen hier zweifellos auf ihre Rechnung, und für die anderen, die vom Käse weniger angetan sind, gab es eine Alternative. Das Besondere an dieser Spezialitätenbeiz ist die unglaubliche Vielfalt der Käsesorten, die hier angeboten werden. Im Münster stiessen vor allem die prächtigen Glasfenster aus dem Mittelalter und die astronomische Uhr auf das Interesse des Publikums. Obwohl Strassburg in Frankreich liegt, legen deren Bewohnerinnen und Bewohner Wert darauf, dass sie in erster Linie Elsässer und nicht Franzosen seien. «Amtliches» lautet meist auf französisch. Aber auf der Strasse ist der alemannische Elsässerdialekt allgegenwärtig.
Im Verlaufe des Nachmittags chauffierte Max Thommen seine Gruppe über den Rhein nach Deutschland. Die Staatsgrenze zwischen den beiden Ländern ist eine so genannte Binnengrenze im EU-Raum. Eine Grenzkontrolle gibt es deshalb nicht mehr. Nach einer kurzen Fahrt erreichten die Baselbieter ihre Bleibe während der nächsten drei Tage, das Hotel «3 Könige» in Oberwolfach, ein feines Haus mit freundlichem Personal und einer vorzüglichen Küche.

Bier in der Pipeline
Der zweite Tag kann als Schwarzwaldfahrt bezeichnet werden. Am Mummelsee, 1034 Meter über Meer, reicht die Aussicht über die Schwarzwaldhöhen und die breite Rheinebene bis zu den Vogesen. Unübersehbar sind auch die grossen Löcher, die Sturm Lothar in den Waldbeständen hinterlassen hat. Ein grosser Teil der Windfallflächen wurde mit deutscher Gründlichkeit aufgeräumt und danach mit Laubholzarten bestockt. Das Nadelholz bringt die Natur selbst ein. So entsteht mit der Zeit ein Mischwald, der äussere Ereignisse besser bewältigen kann als ein fast reiner Nadelholzbestand.
Mittagshalt war in Freudenstadt. Das Zentrum der Stadt wurde wenige Tage vor Kriegsende durch einen sinnlosen alliierten Luftangriff völlig zerstört. Auferstanden wie Phönix aus der Asche, präsentiert sich Freudenstadt heute als wahres Bijou und lädt zum Verweilen ein. Die Besichtigung der Klosterbrauerei in Alpirsbach beschränkte sich auf einen Rundgang durch das leicht angestaubte Museum.
Von der Bierproduktion bekamen die Gäste aus der Schweiz nur graue Theorie mit. Aus Platzgründen hat die Brauerei den Abfüll- und Speditionsbereich vor einigen Jahren in einen neuen Gebäudekomplex ausserhalb des Städtchens verlegt. Die Zuleitung der Biere dorthin erfolgt mittels Pipeline. Das Rohr liege mindestens zwei Meter unter dem Terrain und sei mehrfach gegen Bruch und Anzapfen geschützt, war zu vernehmen. Immerhin gab es zum Abschluss eine Bierdegustation.
Der dritte Tag galt zunächst dem Besuch der Glasbläserei «Dorotheenhütte» in Wolfach. Publikumswirksam stellen die Glasbläser hier wahre Kunstwerke her. Auch die Geschichte des Glases ist ausführlich dargestellt. Bereits 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung war die Glasverarbeitung im Orient bekannt. Die Römer verhalfen dem Glas auch in Westeuropa zum Durchbruch. Nördlich der Alpen entwickelten sich vor allem Schlesien, Böhmen und der Schwarzwald zu Zentren der Glasbläserei.
Auf grosses Interesse stiess am Nachmittag der Abstecher zum Freilichtmuseum «Vogtsbauernhof». Hier ist vor allem das Leben auf dem Land bis in die jüngere Vergangenheit dargestellt. Zahlreiche Bauernhäuser aus dem ganzen Schwarzwald wurden hier im Original wieder aufgebaut.

Schwarzwald kahlgeschlagen
Breiten Raum im Museum nimmt die Geschichte des Schwarzwaldes ein. Heute ist der mittlere Schwarzwald zu zwei Drittel mit Wald bedeckt. Das war nicht immer so. Ab dem Mittelalter wurde im Schwarzwald regelrechter Raubbau betrieben. Holz war gefragt, also wurde es regelrecht «versilbert». Erst als praktisch kein Wald mehr vorhanden war, setzte die Obrigkeit um 1800 ein gigantisches Wiederaufforstungsprojekt in Gang. Das raue Klima in den oberen Höhenlagen bis knapp 1500 Meter behagte aber nur dem Nadelholz.
Heute regeln Gesetze die ordnungsgemässe Bewirtschaftung der Wälder. Das Landesforstamt setzt die Rahmenbedingungen und sorgt dafür, dass der Wald seine vielfältigen Aufgaben erfüllen kann. Es unterstützt dabei die Waldbesitzer in ihren Bestrebungen, den Forst naturnah und nachhaltig zu pflegen. Wald, Holz und Waldgeschäfte aller Art waren bis weit in das 19. Jahrhundert
die wichtigste Existenzgrundlage für die meisten Leute im Schwarzwald. Bäume jeder Grösse sind auch im Siedlungsgebiet allgegenwärtig. Es scheint, als lebten sie zusammen mit den Bewohnern in einer Art Symbiose.
Abseits der Hauptachsen führte die Rückfahrt in die Schweiz zunächst nach St. Märgen. Im «Hirschen» – der Name verpflichtet – servierte das Personal Hirschpfeffer mit Spätzle und weiteren typischen Schwarzwälder Beilagen. Nochmals konnten sich die Reisenden aus der Schweiz an den freundlichen Menschen, an den gepflegten Häusern und an der Landschaft erfreuen.

(Bild Otto Graf)