Augenschein vom 08.07.2011   Alle       

Das Schloss, das uns allen gehört

Das Schloss, das uns allen gehört Einmal im Leben Schlossherr sein. Sich an mit Gobelin-stickereien verzierten Stühlen erfreuen oder sich im Damenspielzimmer wie eine Madame in wallendem Rock fühlen.Fast war dies möglich am zweiten «Volksstimme»-Augenschein beim Rundgang in den ehrwürdigen Gemäuern des Schlosses Ebenrain.

hob. Innenhof kam man sich vor wie ein kleiner Schlossherr: gewissermassen König für einen Augenblick. Diesen raren Augenblick gönnten sich über 40 «Volksstimme»-Augenscheinteilnehmer bei der Führung durch das Schloss Ebenrain.Erbaut 1774 bis 1776 durch den Basler Seidenbandfabrikanten Martin Bach ofen, handelt es sich beim Schloss Ebenrain um das bedeutendste Barockgebäude in der Region. Der Name bedeutet Ebene ob dem Rain und liegt unmittelbar neben dem «Glünggisbühl», der ehemaligen Gerichtsstätte des Sisgaus: den Ort, wo noch 1798 das Hochgericht stand.

Gewölbekeller für Bankette
Keine Angst: Die Teilnehmer werden nicht zum Hochgericht geführt. Zuerst geht es über eine gewundene Sandsteintreppe hinunter in den  Gewölbekeller. Dieser diente früher zum Lagern der Lebensmittel, wie die Schloss-Führerinnen Anna Handschin und Regina Harrison erklären. Ein Stein im Kellergewölbe mit der Jahreszahl 1774 und den Initialen MB (Initialen von Martin Bachofen) hält den Baubeginn des Schlosses fest. Nach dem Kauf des Schlosses durch den Kanton im Jahr 1951 und der grossen Renovation 1986 bis 1989 wurde der Keller vergrössert und wird heute vor allem für Bankette benützt.«Der Verkauf des Ebenrains war die grösste Kalberei», ereifert sich ein Teilnehmer. Zuerst wurde nämlich das Schloss der Gemeinde Sissach  anneboten. Aber die hatte kein Geld. Schliesslich kaufte 1951 der Kanton Baselland den Landsitz für 450 000 Franken. «Unglaublich. Der Kanton hätte den Ebenrain samt wertvoller Bildersammlung mit Werken von Monet, Picasso und Manet für anderthalb Millionen kaufen können. Schade. So sind die wertvollen Bilder heute in Privatbesitz», sagt der immer noch leicht erboste Teilnehmer.In der Küche, heute mit allen notwendigen modernen Geräten bestückt, fällt als Erstes der schmiedeiserne Backofen auf. «Der Ofen wurde im Auftrag von Bachofen extra von Paris nach Sissach gekarrt. Kein einfaches Unterfangen zu dieser Zeit», sagt Harrison. Heute wird aber nicht mehr mit Holz gefeuert. Inzwischen wurde der Ofen von alt auf neu getrimmt und elektrifiziert.

Cheminée und Kronleuchter
Der Festsaal lässt erahnen, wie zu Bachofens Zeiten getafelt wurde: Ein grosses Cheminée an der Wand, zwei grosse Spiegel, die den Raum noch grösser erscheinen lassen und ein kristallener Leuchter, der majestätisch von der Decke hängt. «Nein, wir essen nicht hier zu Mittag. Hier finden vor allem Empfänge und die Bankette der Baselbieter Regierung statt», sagt Handschin und lacht.Ein kleines Bijou ist der gelbe Salon mit einer kostbaren Pendule, die zu jeder vollen Stunde ein Lied spielt, und einer massiven Rosenstocktruhe. «Nach dem Essen zogen sich die Männer hierhin zurück, um gemütlich eine Zigarre zu rauchen. Heute würde man dazu wohl Fumoir sagen», sagt Harrison.Hinauf, über eine geschwungene Holztreppe, ging es in den hellen ersten Stock. Heute erstrahlt die Treppe wieder im Original. Sie wurde nämlich auf Geheiss des damaligen Besitzers, Charles Philippe Touchard (1844 bis 1939) im Marmoreffekt übermalt. «Bei der Renovation musste dann die Farbe mühsam wieder abgelaugt werden», so Handschin. Zu Touchards Zeit sei halt Holz «out» und Marmor «in» gewesen.Im kleinen, aber zierlichen Damenspielzimmer fielen sofort die Stühle mit den Gobelin-Stickereien auf. In diesem Raum verlustierten sich die Damen  beim Brett- und Kartenspiele oder gaben sich der Handarbeit hin. Auf die Frage einer Teilnehmerin, ob die in die Jahre gekommenen Stühle nicht neu überzogen würden, antwortet Harrison: «Wir haben uns bei einem  Handwerker in Belgien erkundigt. Ein Stuhl neu zu überziehen würde drei bis vier Jahre dauern und 30 000 bis 40 000 Franken kosten.»Das «Marie Antoinette-Zimmer» war das Schlafgemach von Frau Bachofen. War der dicke Vorhang zugezogen, wussten die Bediensteten, dass Madame nicht mehr gestört werden wollte. Aber nicht immer ging es so friedlich zu. In diesem Zimmer setzte 1824 der damalige Besitzer Johann Rudolf Rhyner-Streckeisen, wegen drohender Anklage auf Bigamie, seinem Leben mit einem Pistolenschuss ein Ende.

Verschwundene Stuckaturen
Die Gipsstuckaturen im Musikzimmer waren lange verdeckt und kamen erst wieder bei der Renovation durch den Kanton ans Tageslicht. Man darf  annehmen, dass im 18. Jahrhundert nur Stuckreliefs mit Emblemen, heute als Musikembleme rekonstruiert, bestanden. Um 1850 entstanden zusätzlich zum Stuck Dekorationsmalereien mit roten Panneaus, den Musen und  Flussgöttern. Unter Hübner wurde der Stuck entfernt und die Wände mit Stoff bespannt.

Nachtarbeit
Der italienische Stuckateur, der über Monate an der Renovation der  Stuckaturen gearbeitet habe, sei ein komischer Kauz gewesen, weiss Harrison. Er habe die Arbeit jeweils erst um 22 Uhr aufgenommen, um ungestört arbeiten zu können. «Man sagt ihm nach, er habe den Gips mit Weisswein verdünnt – und wahrscheinlich nicht nur den Gips», sagt Handschin.
Zum Abschluss der interessanten Führung können im Dachgeschoss noch Fragen an die beiden Führerinnen gestellt werden. Die Frage, die allen unter den Nägeln brennt: Ist das Schloss für Private zugänglich? «Nein», sagt Harrison. Es würden nur Trauungen und Führungen angeboten. «Schade», meinte eine Teilnehmerin: «Das Schloss gehört doch eigentlich uns!»

Volksstimme Nr. 78 / 2011